Alles hat seine Zeit, ich habe Zeit für Sie.

„Könntest Du mir ein Schild mit dem Text basteln: „Alles hat seine Zeit, ich habe Zeit für Sie?“
Am nächsten Tag hatte unser Küster das Schild fertig, am übernächsten Tag, einem Freitag, saß ich mit meinem neuen Schild auf einer Bank in der Frankenallee im Frankfurter Gallus.

Freitags ist Markttag auf der Allee. Somit war der Zeitpunkt gut gewählt. Ich saß da, fröhlich und voller Erwartung, ohne Talar, aber sichtbar für jene, die auf dem Weg zum Markt waren.

Keine fünf Minuten dauerte es, bis sich die ersten Menschen zu mir setzten. Ich gebe zu, es fiel mir leicht im Schatten der Friedenskirche auf einer Bank zu sitzen. Ich gebe zu, es war einfach, denn in meiner Rolle als Pfarrer bin ich seit 35 Jahren im Stadtteil bekannt. Trotzdem brauchte ich vorher meinen persönlichen Moment mit Gott, ein Gebet quasi, um mich mit Gott zu verbinden, mir Mut zu machen und mein Herz zu öffnen.

Nach einer freundlichen Begrüßung kamen wir ins Gespräch. Manchmal beteten wir zusammen und am Ende gab es zum Abschied den Segen. Dabei gab es auch Tränen. Darin bestätigt sich für mich, dass Berührungen, verbal oder haptisch, das Herz zum Überlaufen bringen können, besonders wenn sie von Herzen kommen. Ich bin davon überzeugt, dass solche Aktionen immer mit dem Herzen geschehen müssen.

Das Herz steht in meinem Fall für die Liebe. Schlecht gelaunt bzw. belastet durch Verwaltungsarbeit, Nachbarschaftsraumplanungen oder andere Sitzungen sind solche Herzens-Aktionen nur schwer durchführbar. Solche Aktionen müssen mental geplant sein und in den Kalender eingetragen werden, damit nichts davor oder danach liegt – höchstens noch ein Gebet.


Das Schild mit dem Text lud zum Kommen und Gehen ein. Manche verweilten länger, andere grüßten freundlich im Vorbeigehen. Eine Frau sagte: „Ich möchte auch gesegnet werden“, als sie mit ihrem Einkauf vom Markt kam und mich beim Segnen beobachtete. Nach zwei Stunden nahm ich dann mein Schild und ging beseelt nach Hause.


Wenn die Menschen nicht in die Kirche kommen, dann muss Kirche zu den Menschen kommen, sagte ich mir und uns, als wir im Pfarrkonvent gemeinsam über mögliche Pop-Up Aktionen nachdachten. Und weiter fuhr ich fort: „Das Einfachste wäre doch, wir gehen auf die Zeil und segnen. Dafür braucht es kein Formular. Wir tun das, was wir gelernt haben.“


Schnell ließen sich Kolleginnen und Kollegen begeistern. Augenblicklich wurden mehrere mögliche Termine und Orte genannt. Neben der Frankfurter Zeil auch der Hauptbahnhof oder der Flughafen (Reisesegen).


Die nächsten Schritte wurden online besprochen: Wann, wo, wer? Talar oder zivil? Plakat? Wie lange haben wir Zeit? Welche Segensworte sollen benutzt werden? Sprechen wir die Menschen mit einer Frage an? Auf keinen Fall geht: „Darf ich Sie segnen?“. Aber: „Darf ich Ihnen Gottes Segen zusprechen?“ geht, genauso wie „Darf ich Ihnen Gottes Segen mit auf den Weg geben?“

Schnell wurde deutlich, dass die Aktion auf jeden Fall mit Talar durchgeführt werden muss, schon wegen der Sichtbarkeit, dass hier die evangelische Kirche handelt. Am Dienstag nach Ostern traf ich mich mit zwei Kolleginnen am Nachmittag zunächst in der Peterskirche, einer zentralen Kirche in der Frankfurter Innenstadt.

Dort kleideten wir uns in die Talare und legten zwei Plakate in einen Aufsteller. Auf einem Plakat stand „Segen für Dich“ auf dem anderen „Ostersegen“. Nach einem persönlichen Gebet zogen wir gemeinsam zur Zeil, Frankfurts Shopping Meile.

Mein vertrautes Gefühl aus der Erfahrung im Gallus auf der Frankenallee nutzte mir hier nichts. Hier kannte ich niemanden. Ich stand zunächst dicht am Plakatständer. Sichtbar als evangelischer Pfarrer mit Talar und Beffchen, blickte ich freundlich in die Augen der Passant:innen. Ein wenig entfernt standen meine Kolleginnen.

Ein wenig weiter stand einer, der kleine Bibeln an Passant:innen verteilte und sie dabei direkt ansprach. Es wirkte auf mich belästigend. Wirke auch ich belästigend? Wie nehme ich Kontakt zu an mir vorübereilenden Menschen auf? Es dauerte einen Moment, bis ich spürte, wie ich, ohne belästigend zu wirken, mein Anliegen, mein Geschenk weitergeben konnte.

Der Kontakt mit den Augen war mir dabei sehr hilfreich. Den anderen, die andere freundlich in die Augen blicken, öffnet Wege aufeinander zu. Manche schauen gleich wieder weg, andere verweilen länger. Dabei kann das zunächst, wie ich es nenne: „heimliche Segnen“, helfen, als liebenswerter Mensch von meinem Gegenüber wahrgenommen zu werden. Ich mache das (heimliche Segnen) manchmal, wenn ich in der Straßenbahn mit genervten Menschen zusammen bin. Hinterher steige ich zumindest „erlöster und befreiter“ aus der Bahn.

Auf den Blick folgte der Satz: „Darf ich Ihnen Gottes Segen mit auf den Weg geben?“. Viele Passant:innen blieben stehen und haben sich von uns segnen lassen. Die Fragen: „Gibt es ein persönliches Anliegen?“, „Darf ich Sie mit meinen Händen berühren?“, „Darf ich Ihren Kopf berühren?“, waren dabei hilfreich und wirkten respektvoll.


Wir waren überrascht über den großen Zuspruch. Etwa 90 Menschen haben sich in den eineinhalb Stunden von uns segnen lassen, junge wie alte. Negative Ausfälle hat es nicht gegeben.

Einige Menschen haben aber beim Anblick des Talars ihre Laufrichtung geändert, wiederum andere fragten, was wir hier denn machen oder ob segnen lange dauert? Nicht jede/r konnte mit dem Wort Segen etwas anfangen, ließen sich dann aber darauf ein.

Alle gingen anschließend freundlich ihrer Wege. Am Pfingstsamstag waren wir erneut unterwegs. Diesmal bei strahlendem Sonnenschein. Viele Passant:innen trugen an diesem Nachmittag Sonnenbrillen. Die Kontaktaufnahme wurde dadurch erschwert. Trotzdem erreichten wir ca. 140 Menschen. Wir wechselten unseren Standort und zogen von der Zeil auf den Liebfrauenberg. Hier begegneten wir vor allem Menschen, die gerade unterwegs zum Stadtgeläut waren, aber auch Reisegruppen, die wir so mit Gott in Berührung gebracht haben.

Viel Zuspruch haben wir erfahren, viel Lob und Anerkennung für unsere Aktion. Es war eine kleine Geste, die Großes bewirkt hat. Menschen wurden im Alltag von Gottes Segen berührt. „Gott segne Dich, ein Segen bist Du!“

Mitten im Trubel, mitten im Alltagsgeschäft hielten sie an und traten mit uns in den „Heiligen Raum“. Für einen Augenblick haben wir die Welt um uns herum vergessen. Wie wird es weitergehen? Die Liste möglicher Einsatzorte ist lang. Sie reicht von „Segen in den Parks“ bis zu Festen wie Dippemess, Wäldchestag, Christopher Street Day oder dem Museumsuferfest.


Ich selbst werde im Sommer an einem Freitag einen Tisch auf die Frankenallee stellen, drum herum ein paar Campingstühle und auf den Tisch Brot, Wasser und Wein: „Bitte nehmt Platz, Ihr seid herzlich eingeladen“


Nulf Schade-James
Pfarrer
Frankfurt