Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Schroeder
An der Universität Kassel besitzt Dr. Wolfgang Schroeder eine Professur für „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“. Er ist WZB-Fellow am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung in Berlin und Vorsitzender des Progressiven Zentrums Berlin. Von 2009 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie in Brandenburg. Dierk Glitzenhirn sprach mit ihm über den Ausgang der Europawahl.
Wie bewerten Sie den Ausgang der Europawahl?
Die Europawahl ist ein Wake-up-Call. Die Rechtspopulisten und Rechtsextremen, die die demokratische und tolerante EU bekämpfen wollen, sind in vielen Ländern stärker geworden, vor allem in Italien, Frankreich und Österreich. In manchen Ländern, wie den nordischen Staaten, jedoch schwächer.
Welche Konsequenzen hat das Ergebnis für die deutsche Politik?
Auch wenn die EU-Wahl keine Bundestagswahl war, zeigt sie einmal mehr, dass die Ampelkoalition keine Mehrheit mehr hat. Zudem wird immer deutlicher, dass die Politik gegen Rechtsaußen gescheitert ist, gerade auch bei den Konservativen. Zweitens ist unklarer geworden, ob und wie die Politik der ökologischen Transformation, die auf EU-Ebene mit dem Projekt des „New Green Deal“ verbunden ist, weitergeht. Gerade aus Deutschland sind hierzu in den vergangenen Jahren immer wieder irritierende Signale gesendet worden, beispielsweise im Hinblick auf den Verbrennungsmotor.
Sehen Sie das auch als ein Scheitern der Konservativen, dass die Abgrenzung nach rechts nicht gelingt?
Entscheidend für die Eindämmung der Rechtsaußenpolitik ist die Haltung der konservativen Parteien der demokratischen Mitte. Auf der lokalen Ebene zeigt die von Friedrich Merz proklamierte Brandmauer bereits Risse; auf der Ebene der Länder wird sich im Herbst zeigen müssen, ob dort die Brandmauer noch steht. Mit der teilweisen Normalisierung von Rechtsaußen fällt es Konservativen immer schwerer, eine klare Abgrenzung zu praktizieren. Vor allem ist es den Konservativen nicht mehr möglich, integrativ gegenüber diesem Teil der Wählenden zu wirken.
Welche Rolle spielt dabei die Jugend? Wir haben teilweise Ergebnisse gesehen, die starke Anstiege im Abstimmungsverhalten zugunsten der rechtsextremen Parteien deutlich gemacht haben. Wie rechtsextrem ist die deutsche Jugend?
Die Jugend ist insgesamt kaum rechtsextremer als andere Altersgruppen. Gleichwohl ist der gestiegene Anteil von 16% bei den unter 24-Jährigen bedrückend. Auch wenn die Mehrheit in dieser Altersgruppe eher linken, vor allem demokratischen Positionen zuneigt, steht hinter der gewachsenen Rechtsaußenpräferenz eine erfolgreiche rechte Jugendkultur. Besonders die Anschlussfähigkeit der AfD in Social Media, vor allem „TikTok“ und anderen Plattformen, erweist sich als wichtiger Resonanzboden. Insgesamt ist die deutsche Jugend jedoch nicht rechts. Über 80% dieser Altersgruppe wählen nicht diese Parteien und lassen sich nicht in den Bann schlagen. Offensichtlich kann die Sinn- und Orientierungssuche in dieser Altersgruppe durch die demokratischen Parteien jedoch nicht hinreichend beantwortet werden.