
Interview mit Cathryn Clüver Ashbrook
Cathryn Clüver Ashbrook ist Expertin für transatlantische Beziehungen und US-Politik bei der Bertelsmann Stiftung. Die Deutsch-Amerikanerin wuchs in der amerikanischen Community in Wiesbaden auf, ist mit einem US-Journalisten verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Berlin. Das Gespräch ist ein Auszug aus der hr2-Radiosendung „Doppelkopf“ vom 1. Juli 2025 und auch als Podcast verfügbar.
„So ein Normenbruch hat mich schockiert“
Wie sehr hat Sie die Münchner Sicherheitskonferenz im Februar geschockt?
Die Sicherheitskonferenz ist immer für Überraschungen gut – aber dass die Luft so schnell aus dem Ballsaal des Bayerischen Hofes wich wie bei den ersten Sätzen der Rede von J. D. Vance, habe ich noch nie erlebt.
Was mich besonders schockiert hat, war der Normenbruch: Innenpolitik gehört nicht auf diese Bühne. Doch Vance brachte die inneren Dynamiken der USA in den europäischen Kontext – und brüskierte Europa mit Aussagen, die unser Wertegerüst infrage stellten. Es ging nicht um Außenpolitik, sondern um Grundüberzeugungen, von denen wir dachten, dass wir sie seit 80 Jahren mit den USA teilen.
„Vance ist Botschafter des Trumpismus – gefährlich sind andere“
Wie gefährlich ist J. D. Vance für Europa?
Vance versteht sich wohl als Erbe des Trumpismus und der MAGA-Bewegung. Doch seine Rolle ist eher die eines Botschafters als die eines Strategen.
Wirklich gefährlich sind andere Figuren im System Trump: etwa Susie Wiles, die mächtige Nummer Zwei im Weißen Haus, und Stephen Miller – ein Architekt der autoritären Agenda. Ihm wird auch die Vance-Rede in München zugeschrieben. Miller will das Justizsystem umbauen, das Wahlsystem verändern – und genau das macht ihn brandgefährlich.
„Zwischen Cornflakes und deutschem Schulranzen“
Sie sind in Wiesbaden aufgewachsen – wie war das Leben zwischen zwei Welten?
Unsere Air Base in Camp Lindsey war eine abgeschlossene amerikanische Welt: mit Kirche, Highschool, Grundschule und Krankenhaus. Meine Mutter war 42 Jahre lang Lehrerin dort.
Ich bin dann nach der vierten Klasse auf ein Wiesbadener Gymnasium gewechselt. Das Leben war ein ständiger Wechsel: Zuhause amerikanische Cornflakes (die ich nicht essen durfte, wegen des Zuckers), draußen das deutsche Schulsystem. Ich habe mich früh als Brückenbauerin zwischen den Welten verstanden.
„Deutschland hätte früher mehr tun können“
Was muss Deutschland sicherheitspolitisch jetzt tun?
Nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich müssen wir widerstandsfähiger werden. Sabotage und Cyberangriffe kosten unsere Wirtschaft jedes Jahr über 270 Milliarden Euro – das ist dramatisch.
Wir haben lange zu wenig getan, nicht nur bei der sogenannten „Kriegstüchtigkeit“, sondern auch beim Schutz unserer Wirtschaftsräume.
„Mein Sohn müsste wohl zur Bundeswehr – das beschäftigt mich“
Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs habe ich ein Papier des Stockholmer Instituts für Friedensforschung gelesen. Es besagt: Wenn ein Krieg nicht innerhalb von zehn Monaten beendet ist, dauert er oft zehn Jahre oder länger. Da wurde mir klar – mein Sohn würde einrücken müssen.
Beunruhigt Sie das?
Ich komme aus einer Familie, in der freiwilliges Engagement immer wichtig war. Wir brauchen mehr Freiwilligenkultur. Jeder sollte sich fragen, wie er oder sie sich einbringen kann. Und wir müssen als Gesellschaft insgesamt resilienter werden.
„Demokratie muss Streit aushalten“
Was können wir aktuell von den USA lernen?
Keine Demokratie ist vollkommen sicher. Ihre Stärke liegt in ihrer Beweglichkeit – darin, dass Mehrheiten durch Überzeugung entstehen. Demokratische Streitkultur ist überlebenswichtig.
Wir haben in Deutschland wichtige Schritte gemacht – z. B. beim Schutz des Bundesverfassungsgerichts durch Mehrheiten. Aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen.
„Die politischen Bildungszentren sind Kleinode“
Was sollte Deutschland konkret tun?
Landeszentralen für politische Bildung werden immer wieder attackiert – nicht nur von Rändern, sondern auch aus der Mitte. Dabei sind sie essenziell. Ich selbst habe in den 1990ern die hessische Landeszentrale genutzt, Bücher gelesen, Demokratie begriffen. Diese Institutionen müssen geschützt werden.
Warum ist das so wichtig?
Das Leben ist komplex – und wir brauchen Orte, die helfen, diese Komplexität zu verstehen: öffentlich-rechtliche Medien, politische Bildungsstätten, unabhängige Universitäten. In den USA sehen wir gerade, was passiert, wenn diese Orte angegriffen werden.
„Frieden ja – aber nicht naiv“
Was halten Sie von der heutigen Friedensbewegung?
Frieden zu fordern ist legitim und wichtig – gerade an Gedenktagen. Aber wir dürfen uns nicht einlullen lassen von Akteuren wie Putin, die mit Friedensrhetorik Krieg rechtfertigen. Wenn hundert Drohnen ukrainische Kinder angreifen, ist das kein Friedensakt.
Friedensbewegung ja – aber mit modernen Inhalten: kritische Entwicklungszusammenarbeit, faire Wirtschaftsstrukturen, Widerstandsfähigkeit in der Gesellschaft.
„Sicherheit heißt auch Abschreckung“
Heißt Frieden für Sie auch Waffenlieferungen?
Ja. Keine Waffen für die Ukraine hieße: Wir werden überrannt. Diplomatie muss immer an erster Stelle stehen – aber Sicherheit braucht auch Abschreckungskapazitäten.
Wir müssen viele Lebensbereiche sicherer machen: unsere Wirtschaft, unsere Energieversorgung, unseren Alltag. Und dabei dürfen wir eines nie verlieren: die Bereitschaft, die andere Seite zu verstehen. Denn nur wer zuhört, kann friedlich verhandeln. Ich wünsche mir, dass wir diese Energie nicht verlieren.