
Interview mit Bundeswehroffizierin Tina Behnke
Die Hamburger Bundeswehroffizierin Tina Behnke spricht sich für eine Wehrpflicht oder einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst aus – mit Wahlmöglichkeit zwischen Bundeswehr, THW und sozialen Diensten. Der freiwillige Wehrdienst allein reiche nicht aus, sagt die persönliche Referentin des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Generalmajor Wolf-Jürgen Stahl. Im Gespräch äußert sie sich zur Rolle von Frauen in der Bundeswehr, zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie – und zum Krieg in der Ukraine.
„Ich wollte etwas Konkretes tun.“
Was hat Sie dazu bewogen, Soldatin zu werden?
Im Frühjahr 2007, mit 21 Jahren, habe ich mich entschieden, es bei der Bundeswehr zu versuchen. Ich hatte zwei Jahre Medizin in Leipzig studiert, war aber in einer Sinnkrise. Ich sehnte mich nach etwas Praktischem und Konkretem. Die Bundeswehr bot mir genau das: Verantwortung, Führungserfahrung und Einsatz für die Sicherheit unseres Landes.
Skepsis aus dem Umfeld?
Wie reagierten Familie, Freunde und das kirchliche Umfeld?
Meine Familie war zunächst zurückhaltend. Mein Bruder hatte gedient und konnte sich ein Bild machen – sonst hatte niemand einen Bezug zur Bundeswehr. Viele glaubten nicht, dass ich es körperlich schaffen würde. Mein Großvater hingegen war überzeugt: Das ist genau dein Weg – und er hatte recht.
Im kirchlichen Umfeld gab es kritische Fragen, etwa: „Kann man Christin sein und Soldatin?“ Das brachte mich zum Nachdenken, aber auch zur Erkenntnis: Gerade als Christin sehe ich es als Aufgabe, Frieden zu bewahren und Schwache zu schützen – im Sinne eines Verantwortungspazifismus.
Frau, Mutter, Soldatin – alles gleichzeitig
War es schwer, sich als Frau in der Truppe durchzusetzen?
Die Bundeswehr hat sich verändert. Ich muss mich nicht zwischen Frau, Mutter oder Soldatin entscheiden – ich bin alles gleichzeitig. Diese Rollen ergänzen sich: Als Mutter verstehe ich besser, wofür ich als Soldatin einstehe. Die meisten Kameraden respektieren das, weil sie merken: Diese Vielfalt macht uns stärker.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Wie klappt das mit Ihrem Sohn und dem Beruf?
Mein Sohn ist neun Jahre alt. Dank Ursula von der Leyen ist die Bundeswehr heute familienfreundlicher. Dennoch musste ich mich nach meiner Rückkehr als Mutter erst wieder beweisen. Ich erinnere mich an einen Vorgesetzten, der fragte, ob mein Kind mich nach dem Mali-Einsatz noch erkennen würde. Ich fragte zurück: „Würden Sie das einen Vater auch fragen?“ Danach war Ruhe.
„Das war ein Epochenbruch“
Wie haben Sie den russischen Angriff auf die Ukraine erlebt?
Der 24. Februar 2022 war ein Wendepunkt – politisch und persönlich. Plötzlich war Sicherheit keine Selbstverständlichkeit mehr, auch in Europa. Ich dachte sofort: Das, was ich in Mali erlebt habe, ist jetzt Realität in Europa. Die Worte eines polnischen Kollegen klangen in mir nach: „Ihr Deutschen diskutiert, wir wissen, dass es eine Bedrohung gibt.“
100 Milliarden für die Bundeswehr
Wie war Ihre Reaktion auf Scholz‘ Zeitenwende-Rede?
Ich saß mit meinem Mann und meinem Sohn vor dem Fernseher. Als Olaf Scholz „100 Milliarden“ sagte, dachten wir erst an einen Versprecher. Aber wir wussten sofort: Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt für die Bundeswehr – und für uns.
Was bedeutet die Zeitenwende konkret?
Zeitenwende heißt auch Gedankenwende. Es geht nicht nur um die Bundeswehr, sondern um gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Bürgerinnen und Bürger müssen sich als Mitgestalter von Sicherheit verstehen – etwa durch Zivilschutz, Cybersicherheit oder demokratisches Engagement.
Ein starkes Zeichen: die neue Brigade in Litauen. Sie steht nicht für Übungen, sondern für echte Abschreckung an der NATO-Ostflanke. Das verändert alles – von der Haltung bis zur Ausrüstung.
Reicht freiwilliger Wehrdienst aus?
Ganz klar: nein. Die Politik muss ehrlich sein. Mit Freiwilligkeit allein werden wir 60.000 neue Soldatinnen und Soldaten nicht gewinnen. Wir brauchen eine Wehrpflicht oder einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst – mit Wahlmöglichkeit. Damit stärken wir nicht nur die Bundeswehr, sondern auch Zivil- und Katastrophenschutz.
Was fehlt der Truppe noch?
- Tempo bei Rüstung und Infrastruktur: Wir brauchen Systeme, an denen real geübt werden kann – keine Einzelprojekte. Und pragmatische Unterkünfte, keine Luxuslösungen.
- Mentalität: Vom friedensverwöhnten zum wehrhaften Deutschland. Das heißt nicht Militarismus, sondern Realismus.
- Gesellschaftliche Verantwortung: Sicherheit betrifft alle Lebensbereiche – Energie, Cyber, Demokratie. Die Bundeswehr ist nur ein Teil davon.
2030: Ausblick und persönliche Perspektive
2030 wird die Welt komplexer sein. Ich hoffe, wir sind bis dahin wehrhaft und resilient geworden – als Bundeswehr und Gesellschaft. Persönlich sehe ich mich weiter als Brückenbauerin zwischen Truppe und Bevölkerung. Denn Sicherheit ist keine Einbahnstraße – sie beginnt bei jedem von uns.