Zwischen Salon und Altar

Friseurmeisterin übernimmt Pfarrstelle

Miriam Diederich ist seit April 2024 Pastoralreferentin in der Evangelischen Kirchengemeinde von Eschenstruth / St. Ottilien (Kirchenkreis Kaufungen / EKKW). Nach vielen Jahren in der ehrenamtlichen Gemeindeleitung nimmt sie als Quereinsteigerin mit einer ¾ Stelle die Aufgaben der Pfarrstelle wahr. Sie ist seit 2006 selbstständige Friseurmeisterin, diesen Beruf übt sie allerdings nur einmal in der Woche aus.

Frau Diederich, was hat sich seit ihrem Dienstbeginn in der Gemeinde verändert?


Für die Gemeinde hat sich nichts verändert. Aber für mich persönlich hat sich etwas verändert. Das Verantwortungsgefühl ist anders. Im Ehrenamt, da hat noch jemand im Hintergrund gestanden. Aber die neue Situation macht mir keinen Druck, denn viele Aufgaben habe ich auch vorher schon betreut, so war es kein großer neuer Einstieg. Ich lebe eine erfüllende Zeit seitdem.

Die Berufsbezeichnung ist ungewöhnlich.


Über den Begriff „Pastoralreferentin“ ist lange nachgedacht worden. Bei einer Tagung im diakonischen Kontext hat auch einmal jemand in großer Runde gesagt: „Das ist ja witzig. Jemand aus der katholischen Kirche arbeitet in der evangelischen Kirche mit!“ Ich habe eine positive Haltung dazu gewonnen. In der Gemeinde bin ich auch keine Pastoralreferentin. Für die Leute bin ich die Pfarrerin.

Wie ist der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen im Pfarrberuf?


Ich bin überall eingebunden und erfahre eine große Kollegialität. Die abweichende Berufsbezeichnung spielt dort keine Rolle. Von Anfang an habe ich gespürt, dass alle hinter mir stehen. Auch im Kooperationsraum arbeiten wir ganz normal zusammen.

Sie leisten die gleiche Arbeit wie ihre Kolleg:innen im Pfarramt. Wie werden sie bezahlt?


Es liegt in etwa in der Größenordnung einer Gemeindereferentin. Wir haben eine dreijährige Probezeit verabredet und danach soll das Gehalt neu justiert werden. Mein Vertrag ist unbefristet. Die Gemeinde ist „Pilotgemeinde“.

Sie sind überall „die Pfarrerin“. Welchen Bildungsweg haben Sie genommen?


Lektorin, Prädikantin, 30 Jahre im Kirchenvorstand, schon immer habe ich im Gottesdienst mitgearbeitet. Andrea Holler, meine Vorgängerin im Amt, habe ich viel zu verdanken. Sie hat mir vermittelt: „Sie können das schon.“ Darauf habe ich vertraut und bin daran gewachsen. In einer langen Krankheitsphase der Pfarrerin hat die Gemeinde viel Selbstständigkeit erlangt. Wir sind eine sehr lebendige Gemeinde.

Sind Sie jetzt stärker ein Gegenüber zur Gemeinde?


Ja, aber ich fühle mich auch noch sehr im Miteinander. Ich komme aus dem Ort. Viele Menschen kennen mich seit meiner Kindheit und ich spüre ein großes Vertrauen.

Gibt es Schnittmengen zwischen den Berufen, zwischen den Tätigkeitsfeldern einer praktizierenden Friseurmeisterin und im Pfarramt?


Das Thema Seelsorge steht für mich ganz hoch. Ich versuche als Pfarrerin sehr menschennah zu sein. Wenn ich weiß, dass jemand besucht werden möchte, dann versuche ich das schon wahrzunehmen. Im Geschäft ist die Hemmschwelle geringer und ich erreiche auch Menschen, die sonntags nicht zum Gottesdienst kommen.

Es ist im Friseurladen auch deshalb einfacher, weil ich hinter den Menschen stehe, und sie schauen mich nicht direkt an, wenn wir sprechen. Für einige ist die Hemmschwelle im Geschäft einfacher zu überwinden, da sie nicht um ein Gesprächstermin bitten müssen.

Funktioniert das nur im ländlichen Raum, dort wo sie alle kennen und die Gemeinde klein ist?


Sicher sind wir eine kleine Gemeinde, und es ist eine Dreiviertel-Pfarrstelle, da ich ja freitags noch im Laden stehe. Aber ich glaube, dass man das auch im größeren Raum denken kann. Es ist ein normales Pfarramt, das ich wahrnehme.

Was heißt ihre Stellenkombination für die Kirche?


Ich fände es gut, wenn dieser Weg geöffnet werden würde, einen anderen Beruf mit dem Pfarrberuf zu verbinden. Ich glaube, dass das ein richtiger Weg ist, etwas Zukunftsweisendes. Ich habe persönlich nicht damit gerechnet, selbst vor drei Jahren nicht.

Obwohl, gehofft habe ich das schon nach den ersten Gesprächen. Es ist für mich ein ganz großes Wunder, dass das möglich geworden ist. Die Landeskirche ist sehr mutig gewesen und ich bin sehr dankbar, dass sie das möglich gemacht hat. Aber mein Geschäft bleibt mein zweites Standbein.