Eine Markierung entmenschlicht Menschen

Die Flötistin Maria Kolesnikowa ist in Belarus zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil sie im Jahr 2020 für demokratische Wahlen und Freiheit eintrat. Im November 2024 durfte Maria Kolesnikowa nach mehr als 600 Tagen Einzelhaft ihren Vater treffen. Ein Foto zeigt sie im einfachen Gefängniskleid.

Ein Detail auf dem Foto ist bemerkenswert: Der gelbe Aufnäher auf Marias Kleid kennzeichnet sie als politische Gefangene. In Belarus müssen mehr als 1.400 Gefangene diesen Aufnäher immer tragen. Mit der Kennzeichnung sind sie der Gewalt anderer Gefangener ausgesetzt. Im Gefängnisvollzug bedeutet der gelbe Aufnäher Isolation, Einzelhaft, willkürliche Sonderbehandlungen und das Verbot, an Gottesdiensten teilzunehmen.

Mich erinnert der gelbe Aufnäher auch an die dunkelste Zeit in der Geschichte meines Landes. Jüdische Menschen mussten den gelben Stern tragen, politische und religiöse Gefangene, Homosexuelle oder ethnische Gruppen wurden in den Konzentrationslagern mit rosa, weißen, gelben, schwarzen und roten Aufnähern „markiert“.

Markierungen nehmen Menschen ihren Namen und ihre Individualität. Sie entmenschlichen Menschen. Rassistische und faschistische Systeme nutzen solche Methoden. Durch die Wahlen in Belarus werden sich die Machtverhältnisse nicht ändern, denn die Opposition ist im Gefängnis oder außer Landes.

Die Aktion „100 x Solidarität“ ruft dazu auf, Briefe an Gefangene in Belarus zu schreiben und deren Freilassung zu fordern. Gegen das Vergessen, für die Menschlichkeit.