Lina: Wie die Zeit vergeht: Nun neigt sich dein erstes Jahr bereits dem Ende zu! Was hat dich bisher am meisten überrascht am Pfarramt?
Johannes: Ich finde es erstaunlich, wie viel von den Kirchenvorständen abhängt – in vielerlei Hinsicht. Zum einen, was meinen Dienst angeht: Ich habe großes Glück gehabt mit meinen Leuten. Da ist zum Bespiel ein kompetenter Architekt, der sich um unsere Gebäude kümmert. Oder eine engagierte Diakonin, die mir sehr den Rücken stärkt. So kann ich viel an Verwaltungsarbeit abgeben und mehr Zeit meinen pastoralen Aufgaben widmen. Das kann aber auch ganz anders aussehen, wenn man solche Unterstützung eben nicht hat.
Lina: Das stimmt. Irgendwie haben wir alle ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen für unseren Dienst. Nicht nur durch die Besetzung der Kirchenvorstände. Auch was den Stundenumfang und die Kompetenz der Verwaltungsfachkräfte in den Gemeindebüros angeht. Einige Kolleg:innen sind da ziemlich auf sich alleine gestellt. Ich erinnere mich an einen Kollegen, der bei einer Dekanatskonferenz meinte, seine pastoralen Aufgaben erledige er so nebenher, neben dem ganzen Verwaltungstätigkeiten. Das fand ich sehr eindrücklich.
Johannes: Ja, das ist teilweise einfach unfair. Aber durch die Nachbarschaftsräume wird das hoffentlich etwas ausgeglichener. Dafür sind ja Gemeinschaftsbüros mit gut ausgebildeten Fachkräften geplant. Ich hoffe sehr darauf. Denn es hat mich auch überrascht, was alles von uns erwartet wird. Oft denke ich, ich hätte besser BWL studiert oder Jura statt Theologie.
Lina: Das ist doch schade, diesen Eindruck zu bekommen. Wir haben diese lange Ausbildung gemacht und fühlen uns jetzt oft überfordert oder unqualifiziert. Aber das ist nicht unsere Schuld. Viele, auch ältere Kolleg:innen, klagen über den wachsenden Verwaltungsaufwand. In einiges werden wir sicher noch hineinwachsen, aber anderes muss sich auch ändern und uns abgenommen werden, wenn wir die Freude an unserem Beruf nicht verlieren sollen.
Johannes: Die scheint meinem Eindruck nach bei vielen Probedienstler:innen leider schon jetzt nicht besonders ausgeprägt, die Freude am Beruf. Ich nehme eher viel Frust wahr. Unter anderem, was die Dienstwohnungen betrifft. Da habe ich schon einige echt üble Geschichten gehört mittlerweile: Von Häusern mit Brandschaden und ohne funktionierende Heizung. Oder von Vorgängern, die ungefragt den Zustand des Gartens oder der Dienstwohnung kommentieren. Von Streitigkeiten mit den Kirchenvorständen wegen der Gartenarbeit. Auch beim Pfarrhaus hat es mich überrascht, wie viel wieder von den Kirchenvorständen abhängt.
Lina: Dieses Thema hatten wir ja schon beim letzten Mal. Und nun, da wir im Pfarrhaus wohnen, sehe ich die Dienstwohnungspflicht umso kritischer. Ich empfinde es als unangenehm, bei Kirchenvorsteher:innen, die teilweise unsere direkten Nachbarn sind, einen Zuschuss zur Gartenpflege zu erbitten oder mit ihnen die Streu- und Kehrpflicht zu diskutieren. Wenn wir nicht ordentlich kehren oder mähen, beeinflusst das, wie mich die Leute wahrnehmen und damit meine Amtsführung. Das finde ich sehr belastend und auch nicht mit dem Verweis auf die „Lebensführung“ zu rechtfertigen. Bei anderen Kolleg:innen hat das schon zu ausufernden Konflikten in den Gemeinden geführt. Es wird endlich Zeit, das Konzept Pfarrhaus zu überdenken.
Johannes: Zumal deren Abrechnung auch einiges an Verwaltungsaufwand zu generieren scheint. Schließlich waren bei unserem Einzug gut ein Dutzend Sachbearbeiter:innen involviert. Wir mussten mehrere Protokolle und Formulare ausfüllen, dazu zahllose Telefonate führen. Ich habe vorher über zehn Jahre zur Miete gewohnt und das war nie so kompliziert…
Lina: Als Probedienstler:innen konnten wir uns das Haus nicht wirklich selbst aussuchen. Ich habe mit einigen jungen Kolleg:innen während Fortbildungen über das Thema gesprochen und die wenigsten wohnen gerne im Pfarrhaus. Höchstens die „Großstädter“. Das bringt mich zu einer anderen Frustquelle: Die Intransparenz bei der Vergabe der Probedienststellen. Auch die Rahmenbedingungen für den Dienststart variieren immens. Ein nachvollziehbares Verfahren lässt sich für mich nicht erkennen. Für meinen Jahrgang hieß es zum Beispiel noch, dass die Propstei Rhein-Main für Probedienstler:innen in den nächsten Jahren tabu sei. In diesem Jahr haben dort aber zwei junge Kolleginnen angefangen.
Johannes: Auch wenn wir uns für sie freuen, hat das in unseren Jahrgängen für einiges Unverständnis und weiteren Frust gesorgt. Schließlich haben in den letzten Jahren einige Kolleg:innen sogar die Landeskirche wechseln müssen, weil für sie bei uns partout nichts Passendes gefunden werden konnte. Bei vertretbaren Kriterien wie die Nähe zu einem Bahnhof oder ein etwas urbaneres Umfeld. Da wurden gute Leute gehen gelassen, obwohl wir jede/n brauchen.
Lina: Apropos Leute brauchen: Auch im universitären Kontext habe ich viel Bereitschaft zum Verkündigungsdienst wahrgenommen, auf die die Landeskirchen bisher nicht zu reagieren scheinen. Selbst mit Vikariat und zweitem Examen – wenn die Ordination und der Probedienst fehlen, können sich Theolog:innen nicht auf Pfarrstellen bewerben. Das sollte man ihnen einfacher machen.
Johannes: Unbedingt! Wir brauchen theologische Verstärkung. Das führt mich gedanklich zurück zu unseren pastoralen Aufgaben, für die uns oft wenig Zeit bleibt. Nun soll ich Ehrenamtliche befähigen, das gottesdienstliche Leben vor Ort selbst zu gestalten. Aber warum wird mir dafür nicht der Rücken von der Kirche freigehalten von Verwaltungsaufgaben? Warum werde ich nicht befähigt, mich nur noch auf die Tätigkeiten zu konzentrieren, derentwegen ich Pfarrer geworden bin? In der neuen Orientierungshilfe zur Dienstzeitregelung ist angegeben, dass die wöchentliche Zeit „für allgemeine Bürotätigkeit und pfarramtliche Verwaltung“ ein bis zwei Stunden nicht übersteigen sollte. Für die Gottesdienstvorbereitung werden dagegen bis zu zehn Stunden veranschlagt. Das sind völlig utopische Angaben, die wenig mit meinem Berufsalltag zu tun haben.
Lina: Absolut, das sollte aber das Ziel sein: Weniger Zeit im Büro, mehr Zeit für die Menschen. Mehr Zeit für Begegnungen und für schöne Gottesdienste. Das wäre auch meine Hoffnung oder besser: meine Forderung für ekhn2030. Dass uns als Pfarrer:innen durch den Transformationsprozess wieder mehr Zeit und Ressourcen für unsere Kernaufgaben bleiben.
Johannes: Es bleibt spannend, ob das gelingt…