Anstöße und Impulse

Zur Diskussion zum Pfarrbild

Der gesellschaftliche Wandel ist rasant. Klimawandel, Krieg in Mitteleuropa und die neue Gefahr der Pandemien beunruhigen viele Menschen. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht vom Zeitalter der Beschleunigung. Der Kanzler redete von der Zeitenwende. Transformation ist ein anderes soziologisches Schlagwort für diese massiven Veränderungsprozesse. Nicht zuletzt davon betroffen sind Form und Inhalt des religiösen Selbstverständnisses, wobei wir unterstellen, dass Menschen immer einen Bezug zum Transzendenten haben, selbst wenn sie es für sich leugnen.


Von diesem Wandel sind das Pfarramt und damit das Selbstbild der Pfarrer:innen betroffen. Wer sind wir als Kommunikatoren und Zeugen des Wortes Gottes in dieser Zeit? Um unser Selbstverständnis zu klären und um dann daraus abzuleiten, was wir für unseren Beruf wirklich brauchen, hat sich die Pfarrvertretung der EKKW auf den Weg gemacht, ein phänomenologisch-pragmatisches Pfarrbild auszuarbeiten. Mit Phänomenologie meinen wir die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Situation und die sich daraus ergebenden theologischen Herausforderungen. Es gilt hier die Phänomene gründlich und detailliert zu beschreiben, ohne sie vorschnell zu bewerten.

Pragmatisch bedeutet, dass sich aus der Situationsanalyse Handlungsfolgen und Handlungskonsequenzen ergeben, die der Situation nicht nur angemessen, sondern im Sinne der Herausforderungen und Aufgabenkritik nützlich sind. Diese Wahrheit im Pragmatismus bedeutet, dass etwas immer insoweit hilfreich ist, als es uns hilft, in den jeweiligen Lebenssituationen sinnvoll und gut zurechtzukommen.

Werden beide Begriffe auf das Bild der Pfarrperson angewandt, so muss geklärt werden, welchen gesellschaftlichen Herausforderungen sich die Pfarrperson stellen muss und welches nützliche Instrumentarium es braucht, das Evangelium zu kommunizieren und zu bezeugen. Im Ordinationsgelübde der EKKW, Variante heißt es: „Ich erkenne wohl, dass es ein schweres Amt ist, das ich auf mich nehme. Weil ich aber ordentlich dazu berufen bin und mich auf die Hilfe Gottes und auf das Gebet der ganzen Christenheit verlasse, gelobe ich, allem, was mein Amt fordert, treu und gewissenhaft nachzukommen.“

Neben dem schweren Amt hat Manfred Josuttis 1982 ausgemacht, dass der Pfarrer anders ist. Aber wie das Anderssein gelebt werden soll, bleibt bei ihm unklar. Im Gegensatz dazu haben Friederike Erichsen-Wendt und Adelheid Ruck-Schröder, dass „Pfarrer:in Sein“ in einer Momentaufnahme beschrieben, um „Impulse für das Nachdenken und Handeln von Pfarrer:innen … (zu setzen, Erg. SR), sodass sie diesen Beruf auch zukünftig gut und fröhlich ausüben“ (13).

Was aber dazu konkret nötig ist, bleibt aus unserer Sicht offen. Aus diesem Grund fragen wir nach der professionellen Konkretion, nach dem beruflichen Instrumentarium und dem adaptierten beruflichen Knowhow und zukünftigen Herausforderungen, die für die Ausübung der Profession notwendig oder vernachlässigbar sind.

Dazu haben wir folgende Fragen unter der Überschrift „Pfarrer:in sein – im 21. Jahrhundert. Mein pragmatisches Pfarrerbild“ formuliert:


1) Was brauche ich, um den Beruf gut, gerne und wohlbehalten ausführen zu können?


2) Wie verändert es mich, dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten?


3) Ich als Pfarrperson
a) Wie erlebe ich mich in der Gesellschaft?
b) Wie erlebe ich mich als Person mit diesem Beruf?
c) Wie erlebe ich mich als Person gegenüber den Menschen meiner Gemeinde?
d) Wie erlebe ich mich als Pfarrer:in in gegenüber der Institution Kirche?


4) Ist die Pfarrperson wirklich anders? Wenn ja, was macht mich anders? Was ist mein Referenzpunkt für mein Anders-Sein als Person? Wenn nein, worin besteht die Gleichheit? Was ist mein Referenzpunkt für die Gleichheit?

Ziel und Sinn des Diskussionsprozesses ist ein handlungsfähiges und vor allem anwendungsbezogenes und pragmatisches Pfarrbild, jenseits von akademischen Pastoraltheorien und den noch nicht vorhandenen Vorgaben aus Personalreferaten oder Landeskirchenämtern.

Ein offener und auf „Best Practice“ basierender Diskussionsprozess soll es sein. Von Kolleg:innen, die vor Ort agieren für die Kolleg:innen. Dass sich das Pfarrbild und dessen Selbstverständnis verändern, zeigt schon der Begriff der „Work-Life- Balance“, die in Diskussionen mit vielen jüngeren Kolleg:innen zu Recht aufkommen. Dieser Generation ist eine klare Abgrenzung zwischen Privatbereich und Arbeitsumfeld wichtig.

Auch die Dienstwohnungs- und Residenzpflicht und z.B. das Wohnen in energetisch schlecht isolierten Pfarrhäusern angesichts von Energiekrise und hohen Heizkosten wird dabei zunehmend plausibel hinterfragt.

Die Frage nach der „Work-Life-Balance“ manifestiert sich auch in den Themen Arbeitszeit, Urlaub, freiem Wochenende und Erreichbarkeit. Die Pfarrvertretungen der EKD streben eine 41 Stundenwoche an, die EKKW eine 48 Stundenwoche – beides auf der Basis der „Vertrauensarbeitszeit.“ Unterschiedliche Zahlen ergeben sich aus unterschiedlichen Referenzpunkten. Eine 41 Stundenwoche haben Bundesbeamte, 48 Stundenarbeitszeit ist EU-Recht konform.

Ein weiteres Thema sind die Strukturen und die damit verbundenen Arbeitsprozesse. Gefordert werden sinnvolle Strukturen, die an gesellschaftliche Gegebenheiten angepasst werden sollen. So scheinen z.B. Kleinstgruppen und „Kleinst“-Gottesdienste nicht mehr sinnvoll zu sein. Eine volkskirchliche Gemeinde-
und Gruppenarbeit hat sich vielerorts überlebt.

In diesem Zusammenhang sind der Kooperationsraum und die Teamarbeit mit den Kolleg:innen vor Ort von großer Bedeutung. Ebenso multiprofessionelle Teams, die Gaben und Begabungen in und jenseits der klassischen Parochie im Idealfall synergetisch ergänzen und komplimentieren.

Die Frage nach einer qualifizierten Personalentwicklung wird zunehmend relevant. Dabei geht es nicht um klassisch vertikale Personalentwicklung in Form der Karriereleiter, sondern um die individuelle horizontale Personalentwicklung und Profilierung, die die Berufszufriedenheit fördern. Dazu können als Beispiele dienen, psychologische Weiterbildungen in und für die Seelsorge, Fortbildungsoptionen in Erwachsenenarbeit, theologische Weiterbildung und Spezialisierung für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familie, Senioren etc.

Besonders wichtig ist und bleibt die Identität der Pfarrperson. Ist die Pfarrperson wirklich anders? Wenn ja, was macht sie anders? Was ist ihr Referenzpunkt für ihr Anders-Sein als Person? Wenn nein, worin besteht die Gleichheit? Was ist ihr Referenzpunkt für die Gleichheit?

Die Pfarrperson ist nicht generell anders, obwohl sie theologisch ausgebildet ist und hermeneutische Kompetenzen erworben hat. Fühlt sich deshalb nicht anders, ist weder frommer oder „besser“ oder „gläubiger“ als ihre Gemeindemitglieder. Beides gehört zur Ambivalenz und Kongruenz von eigenem subjektiv religiösen Ich und objektivierbarer theologischer Kompetenz.

Der Pfarrberuf legt(e) zeitbedingte Rollen(muster) fest, durchbricht sie aufgrund komplexerer Wirklichkeitsanforderungen, wird zunehmend weiblicher und steht nicht erst seit der Pandemie vor neuen Herausforderungen.

Elementarisierung, Fokussierung auf die Kernbotschaft und Flexibilität sind gefragt (Vikar: innenausbildung der EKKW). Ebenso zählen die Angebotsreduktion und die pragmatisch-strategische Neuausrichtung. Dies ist längst nicht abgeschlossen, und warum sollte es so sein?!

Professionis pastoralis semper reformatis! Erste Anstöße und einige Impulse für einen breiten an der Praxis orientierten Diskussionsprozess sind hoffentlich gesetzt. Wir würden uns freuen, wenn Sie als Leserin oder Leser Ideen, Impulse, Konkretionen, Adaptionen und vor allem an der Praxis orientierten Handlungsfelder des Pfarrberufs an uns kommunizieren würden. Immer im Hinblick auf „Best Practice“ und konkrete Impulse für die beruflichen Herausforderungen.


Mails gerne an: pfarrvertretung@ekkw.de

Wilfried Marnach
Vorsitzender,
Pfarrer
Heringen-Wölfershausen

Stefan Remmert
stellvertretender
Vorsitzender,
Pfarrer
Hünfeld