
Neuer Wehrdienst – alte Sache
Ob 18 oder 40 Jahre alt, ob Schüler, Azubi oder bereits im Beruf – nach dem Grundgesetz und dem Wehrpflichtgesetz sind deutsche Staatsbürger männlichen Geschlechts zwischen 18 und 45 Jahren im Frieden und zwischen 18 bis 60 Jahren im Kriegsfall wehrpflichtig. Der Wehrdienst besteht aus einem sechsmonatigen Grundwehrdienst und einem zusätzlichen Dienst von bis zu 17 Monaten. Zum Grundwehrdienst kann man bis zur Vollendung des 23. (in Ausnahmefällen 25.) Lebensjahres herangezogen werden.
17-Jährige können sich freiwillig zum Grundwehrdienst melden, benötigen dafür aber die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter. Derzeit ist der Wehrdienst ausgesetzt und damit freiwillig. Die Sicherheitslage in Europa hat sich mit dem Ukrainekrieg verändert. Die Bundesregierung sieht deshalb die Notwendigkeit, mehr Personal für Sicherheit und Verteidigung bereitzustellen. Aus diesem Grund hat das Bundesverteidigungsministerium im Herbst 2024 den Entwurf für einen „Neuen Wehrdienst“ vorgestellt.
Mit der neuen Regierung werden dazu konkrete Maßnahmen folgen – etwa die Wiedereinführung der Musterung für alle Wehrpflichtigen oder ein Fragebogen an alle 18-Jährigen zur Erfassung ihrer Fähigkeiten und Bereitschaft für die Bundeswehr zu arbeiten. Beides wäre zunächst nur für Männer verpflichtend und ein erster Schritt hin zur Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht. Neben den jungen Menschen stehen ehemalige Soldatinnen und Soldaten, die sogenannten Reservist:innen im Fokus eines „Neuen Wehrdienstes“. Sie verfügen über Fachkenntnisse und könnten schnell in den Dienst zurückgerufen werden. Nur wenige Gruppen sind vom Wehrdienst befreit (zum Beispiel Geistliche).
…und die Frauen?
Männer sind wehrpflichtig, Frauen nicht. Das Wehrpflichtgesetz verstärkt damit klassische Rollenbilder, und es gab bereits Klagen gegen die ausschließliche Wehrpflicht für Männer. Deutsche und europäische Gerichte lehnten diese Klagen bisher mit dem Argument ab, dass Frauen nachweislich im familiären Bereich größeren Belastungen ausgesetzt seien als Männer. Sie tragen neben einer Berufstätigkeit oft auch die Hauptverantwortung für Kinder, kranke Angehörige oder ältere Familienmitglieder.
Zudem verdienen Frauen durchschnittlich weniger, haben schlechtere Karrierechancen und erhalten im Alter eine geringere Rente. Expert:innen argumentieren, dass ein verpflichtender Wehrdienst für Frauen diese Ungleichheiten eher verstärken als abbauen würde. Rechtlich wäre eine Verpflichtung von Frauen zum Dienst mit der Waffe nur durch eine Verfassungsänderung möglich. Gleichzeitig entschied der Europäische Gerichtshof im Jahr 2000, dass Frauen uneingeschränkt Zugang zu allen militärischen Laufbahnen haben müssen. Mittlerweile dienen über 24.000 Frauen in der Bundeswehr – Tendenz steigend. Sie machen heute mehr als 13 Prozent der insgesamt über 181.000 militärischen Angehörigen der Bundeswehr aus. Das Grundgesetz sieht zudem vor, dass Frauen im Verteidigungsfall zu zivilen Sanitäts- und Heileinrichtungen herangezogen werden können.
„Ob Kriegsleute auch im seligen Stand sein können“
Die Überlegung, wie sich Menschen in der Nachfolge Jesu Christi zum Soldatenberuf, zu Krieg und zum Töten anderer Menschen mit einer Waffe verhalten, begleitet das Christentum von Beginn an. Die ersten Christen und mit ihnen die frühen Kirchengemeinden lehnten den Militärdienst ab. Dabei spielten sowohl allgemeine als auch situationsbedingte Gründe eine Rolle. Einerseits wurde jede Form der tötenden Gewalt abgelehnt, andererseits verweigerte man sich dem Totalitätsanspruch des christenfeindlichen römischen Kaisers.
„Wir greifen nicht zu den Waffen gegen irgendein Volk, wir lernen nicht die Kunst des Krieges; denn durch Jesus Christus sind wir Kinder des Friedens geworden“ (Origenes, 3. Jahrhundert). Als das Christentum im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion des Römischen Reichs wurde, änderte sich die Haltung der Kirche gegenüber dem Staat und damit auch zum Militärdienst. Es kam zu einer schnellen Kehrtwende. Der Theologe Augustinus prägte das Konzept des „gerechten Krieges“ und formulierte Kriterien, unter denen ein Krieg als gerechtfertigt gelten könne: Er muss von einer legitimen Autorität geführt werden. Er darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Es muss ein zulässiger Grund und eine gerechte Absicht vorliegen, z. B. Verteidigung. Er muss das Ziel und die Aussicht haben, den Frieden wiederherzustellen.
Dieses Modell begleitete die Kirche bis ins 20. Jahrhundert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg – unter dem Einfluss der internationalen Ökumene – wurde es durch die Lehre des „Gerechten Friedens“ (just peace) abgelöst. Martin Luther brachte im 16. Jahrhundert den Gewissensaspekt in die Debatte ein. In seiner Schrift „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“ (1526) schrieb er: „Wie, wenn mein Herr unrecht hätte, Krieg zu führen? Antwort: Wenn du gewiß weißt, daß er unrecht hat, so sollst du Gott mehr fürchten und gehorchen als Menschen (Apostelgeschichte 5,29) und sollst nicht Krieg führen noch dienen, denn du kannst da kein gutes Gewissen vor Gott haben.“ Luther vertrat die Ansicht, dass Soldatsein und christlicher Glaube grundsätzlich miteinander vereinbar seien. Er unterschied zwischen dem Christsein als Person und dem Amt des Soldaten. In der Kirche regiere Gott durch das Wort, um die Menschen freiwillig zum Glauben zu führen.
In der Welt aber wirke Gott durch das Schwert, um Frieden und Ordnung zu erhalten (Zwei-Regimente-Lehre). Sein Menschenbild war von der Überzeugung geprägt, dass der Mensch sowohl Gerechter als auch Sünder sei. Da die Welt nicht nur aus guten Menschen bestehe, könne der Krieg notwendig sein, um das Böse einzudämmen. Die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (2007) fasst diese doppelte reformatorische Haltung folgendermaßen zusammen: „Das christliche Ethos ist grundlegend von der Bereitschaft zum Gewaltverzicht (Matthäus 5,38ff.) und vorrangig von der Option für die Gewaltfreiheit bestimmt. In einer nach wie vor friedlosen, unerlösten Welt kann der Dienst am Nächsten aber auch die Notwendigkeit einschließen, den Schutz von Recht und Leben durch den Gebrauch von Gegengewalt zu gewährleisten (vgl. Römer 13,1–7). Beide Wege, nicht nur der Waffenverzicht, sondern ebenso der Militärdienst, setzen im Gewissen und voreinander verantwortete Entscheidungen voraus“ (EKD-Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“, 2007, Ziffer 60).
„Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht…“ – Den Kriegsdienst verweigern
Nach Aussetzung der Wehrpflicht und bis zum Beginn des Ukrainekrieges gab es jährlich etwa 100 Anträge zur Kriegsdienstverweigerung. Mit dem Beginn des Ukrainekriegs änderte sich das deutlich. Die Zahl der Anträge lag 2024 bei 2.998. Als Friedensbeauftragte berate ich für die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) Menschen zum Thema Kriegsdienstverweigerung. Die Anrufe und Mails kommen von jungen Leuten, Reservisten, Eltern, einigen aktiven Soldaten und Soldatinnen. Sie betreffen das Verfahren sowie Fragen zur Gesundheitsuntersuchung und vor allem die Klärung des Gewissens.
Aufgrund der ansteigenden Anfragen hat die EAK das Erklärvideo „Kriegsdienstverweigerung – so geht’s“ produziert und die Infobroschüre „Finde deinen Weg“ für junge Leute erstellt. Die Aufgabe steht an, das Netz an Beratenden auszubauen, Pfarrpersonen und Mitarbeitende in der Jugendarbeit zum Thema zu informieren und zu schulen. Sollte die Aussetzung der Wehrpflicht aufgehoben werden, wird es des Wiederaufbaus von Strukturen für einen zivilen Dienst bedürfen, um die Wehrgerechtigkeit zu gewährleisten. Die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht spiegelt das wider. Wer hätte gedacht, dass all das mal wieder nötig wird?