Wie Quereinsteiger die Kirche bunter machen
Seit einigen Jahren diskutieren wir intensiv über den Mitgliederrückgang der Kirchen. Wir stellen dabei fest, dass dieser nicht nur auf den demographischen Wandel der Gesellschaft zurückzuführen ist, sondern auch mit der öffentlichen Wahrnehmung der Kirche zu tun hat.
Ebenso diskutieren wir über den dramatischen Rückgang der Anzahl der Menschen, die sich für das Pfarramt interessieren. Dass es nach den Babyboomer-Jahrgängen heute einfach weniger junge Menschen gibt (und damit auch weniger Theologiestudierende), ist eine Tatsache, auf die wir keinen Einfl uss haben. Und doch bin ich überzeugt, dass es für diesen zweifachen Rückgang auch hausgemachte Gründe gibt. Einer dieser Gründe ist die selbstverschuldete Milieu-Verengung der Kirche, die auch mit einer Milieuverengung des Pfarrpersonals zusammenhängt.
Worum geht es? Mir fi el es zum ersten Mal bei einer Fortbildung auf. Es ging um Sinus-Milieus und zielgruppenorientierte kirchliche Angebote. Dabei stellten wir fest, dass sich praktisch alle anwesenden Kolleg:innen trotz unterschiedlichen Alters denselben zwei Milieus zugehörig fühlten (Damals waren es das Milieu der Postmaterialisten und der bürgerlichen Mitte. Heute sind die Zuordnungen und Begriffe des Sinus-Modells z.T. andere). Ich halte das nicht für einen Zufall.
Die Angebote, die Sprache, der Stil, die Gesten, die Anmutung der kirchlichen Praxis sprechen bestimmte Menschen an und produzieren durch eine dieser Praxis entsprechende Ausbildung einen theologischen Nachwuchs, der spätestens mit dem Ende des Vikariats so passgenau ist, dass er mit dazu beiträgt, dass die Kirche sich auch in Zukunft so anfühlt und aussieht wie heute. Das freut die Menschen, die sich in dieser Kirche heimisch fühlen und sorgt gleichzeitig dafür, dass sie anderen fremd bleibt. Die Milieuverengung des Pfarrpersonals ist insbesondere auch deshalb so fatal, weil Pfarrpersonen als Repräsentant:innen von Kirche für die Identifikation mit der Institution eine so große Rolle spielen (Besonders deutlich wurde das in der 5. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, 2015).
Obwohl die milieuspezifi sche Ähnlichkeit der Pfarrpersonen keine Neuigkeit sein dürfte, wird dies weitgehend nicht als Problem gesehen. Möglicherweise liegt es daran, dass viele immer noch davon ausgehen, dass eine Pfarrerin oder ein Pfarrer nach einer kirchlichen Sozialisation und der siebenjährigen wissenschaftlichen Ausbildung automatisch milieuübergreifend wirken kann. Das ist schlichtweg naiv.
Natürlich sind Pfarrpersonen in den allermeisten Fällen in der Lage, mit Menschen aus allen Milieus Kontakt aufzunehmen und mit einer wertschätzenden Haltung Angebote zu machen – so viel kommunikative Kompetenz kann man erwarten.
Die kirchliche Praxis spricht bestimmte Menschen an und produziert durch eine dieser Praxis entsprechende Ausbildung einen theologischen Nachwuchs, der spätestens mit dem Ende des Vikariats so passgenau ist, dass er mit dazu beiträgt, dass die Kirche sich auch in Zukunft so anfühlt und aussieht wie heute.
Dr. Jens Martin Sautter
Dennoch bleiben wir als Personen und die von uns verantworteten Angebote vielen Menschen mit ihrer Lebenswelt fremd. Der im Rahmen des ekhn2030-Prozesses diskutierte ProfessionenMix ist ein Schritt in die richtige Richtung: Verkündigung braucht unterschiedliche Gesichter.
Gemeindepädagog:innen sowie Kirchenmusiker:innen weiten das Zeugnis des Evangeliums und können mit dazu beitragen, die Milieuverengung ein wenig aufzubrechen. Dies ist jedoch nur ein kleiner Beitrag.
Ein weiterer Beitrag wäre der Abschied von dem Gedanken, dass jede Pfarrperson als Generalist:in grundsätzlich jede mögliche Pfarrstelle übernehmen könnte. Das mag zwar für eine Kirchenverwaltung leichter in der Personalplanung sein und dem Beamtenrecht entsprechen, es entspricht jedoch nicht einem ausdifferenzierten Amt, das die Diversität der Begabungen und Lebensläufe ernst nimmt.
In der Church of England war die Entfremdung der Kirche von der Arbeiterschaft historisch gesehen ein wichtiger Grund für die Ausdifferenzierung des ordinierten Amtes (Zur Ordination von Mitgliedern der Arbeiterschaft im Rahmen eines Projektes in London vgl. Roberts, T.: Partners and Ministers. An Experiment in Supplementary Ministry, London 1972). Neben dem klassischen Pfarrdienst gibt es seit 1970 auch das ehrenamtliche Pfarramt und Pfarrdienste, die in der Arbeitswelt verortet sind. Das hat der Diversität des Pfarramtes einen deutlichen Schub gegeben. Die Ordination von Menschen mit verschiedenen (beruflichen oder sozialen) Hintergründen, Lebenserfahrungen und Milieus stellt eine Chance dar, die wir noch viel zu wenig nutzen.
Inzwischen gibt es berufsbegleitende Studiengänge, die für das Pfarramt qualifi zieren – in Marburg schon seit einigen Jahren, inzwischen auch in Mainz/Frankfurt. Das war dringend notwendig und fördert die Diversität.
Und doch stellt sich die Frage, wer sich diesen Weg sowohl finanziell als auch familiär bzw. persönlich leisten kann. Der dreijährige Master-Studiengang in Marburg kostet mit Unterbringung ca. 10.000 Euro und beinhaltet pro Jahr neben drei bis vier Präsenzwochen noch einmal vier Wochenenden jährlich.
Der zeitliche, wöchentliche Aufwand ist zudem so hoch, dass das Studium nur dann berufsbegleitend möglich ist, wenn jemand in Teilzeit arbeitet oder der oder die Arbeitgeber:in diesen Weg unterstützt (was nicht vorausgesetzt werden kann, denn das Studium ist ja in der Regel eine Vorbereitung auf den Ausstieg aus dem alten Job). Mein Eindruck: Für Menschen, die mit einer vollen Stelle arbeiten, möglicherweise noch eine Familie versorgen müssen, ist das Studium nur schwer umsetzbar.
Im Anschluss an das Studium folgt ein Vikariat, bei dem ca. sechs Wochen im Jahr (Dienstag bis Freitag) im Theologischen Seminar Herborn verbracht werden müssen. Für alle Vikar:innen, die kleine bzw. schulpflichtige Kinder haben, ist das eine wirkliche Herausforderung – vor allem dann, wenn die Partner:innen ebenfalls berufstätig sind. Zwar hat sich hier in den letzten 20 Jahren durchaus etwas getan:
Es gibt inzwischen in der EKHN für Vikar:innen die Möglichkeit, einen Zuschuss für Kinderbetreuung zu erhalten, wenn sie im Seminar sind. Außerdem können Partner:innen und Betreuungspersonen günstig mit im Predigerseminar wohnen.
Das ändert aber nichts daran, dass das gesamte Modell immer noch familiär ungebundene Menschen als Normalfall voraussetzt und für alle anderen eine erhebliche Belastung darstellt. Hinzu kommt ein Gehalt, das im Vergleich zum vorherigen Einkommen möglicherweise so gering ist, dass es angesichts der bestehenden familiären Verpflichtungen auch für hoch Interessierte kaum durchführbar ist (Für Vikar:innen, die ohne familiäre Verpflichtungen direkt aus dem Studium kommen, ist das Gehalt natürlich eine große Verbesserung).
Von einer Quereinsteigerin, die bei ihrer Landeskirche (nicht der EKHN) angefragt hat, ob sie das Vikariat in Teilzeit machen könne, um sich über den alten Job noch teilweise zu fi nanzieren, habe ich erfahren, dass sie auf erheblichen Widerwillen gestoßen ist.
Das sei nur vorgesehen, wenn jemand gleichzeitig promovieren wolle, wurde ihr gesagt (so viel zur Milieuverengung!).
Sicherlich könnte man sagen, dass ins Pfarramt nur die bzw. der kommen sollte, dessen Motivation und Opferbereitschaft entsprechend hoch sind.
Ja, aber: Angesichts des Nachwuchsmangels ist es nicht ersichtlich, warum man einen solchen Übergang vom alten Beruf hin zum Pfarramt nicht durch Stipendien erleichtert oder durch Darlehen unterstützt, die zurückzuzahlen sind, sobald man für den Dienst in der Kirche ordiniert ist. Nicht wenige Interessierte zögern angesichts dieser Problematik mit dem Schritt ins Pfarramt, und das nicht, weil sie nicht motiviert oder geeignet wären, sondern weil sie nicht wissen, wie sie den Übergang finanzieren oder familiär umsetzen sollen.
Hinzu kommt ein anderer Punkt, den ich hier nur kurz andeuten will: das Bildungsniveau. Die Absolvent:innen der Masterstudiengänge haben durchweg bereits ein anderes Hochschulstudium hinter sich, einen Zugang zum Pfarramt ohne Abitur gibt es bei uns nicht. Warum glauben wir eigentlich, dass jemand ohne Abitur grundsätzlich ungeeignet ist für den Pfarrberuf? Ich möchte als Pfarrer selbstkritisch fragen:
Möglicherweise ist all dies aber auch von uns Pfarrer:innen so gewollt, weil wir (ja, auch ich habe ein „ordentliches“ grundständiges Studium hinter mir) Kolleg:innen haben wollen, die erst nach dem Erwerb von drei alten Sprachen („wir mussten ja auch da durch!“), einem sechs Jahre dauernden Studium und einer im Vikariat erworbenen, kirchlich vertrauten Sprache genug Stallgeruch haben, um als „Unsresgleichen“ akzeptiert zu werden. Ich meine: Wir können natürlich versuchen, unseren eigenen „Stand“ zu schützen und die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit des Pfarramts zu bewahren. Wir müssen uns nur dessen bewusst sein, dass wir damit nicht nur den Nachwuchsmangel unnötig vergrößern. Wir verlieren als Kirche auch den Kontakt zu vielen Menschen, denen die Institution Kirche trotz aller Wertschätzung und Zugewandtheit ihrer Vertreter:innen fremd bleibt, weil deren Sprache, Angebote und Anmutung wenig Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt haben.
Dr. Jens Martin Sautter
Pfarrer
Mainz