Suizid: Was Angehörige brauchen

Sven Kießling ist ehrenamtlicher Notfallseelsorger. Der Lauterbacher Pfarrer ist nicht nur engagiert
in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) für Betroffene, er leitet auch seit über 15 Jahren
ein Team zur Einsatznachsorge für Einsatzkräfte. Als Fachberater im Katastrophenschutzstab
des Vogelsbergkreises schult er Feuerwehrleute zum Thema
„Physische und psychische Belastung im Einsatz“

Auch an den Schulungen in der Notfallseelsorge ist er beteiligt. Suizid ist dort immer ein Thema.
Eines, das die Menschen, egal ob Einsatzkräfte oder Angehörige, besonders berührt. Die Freiwilligkeit des selbstgewählten Todes, das Nichtschicksalhafte, die bloße Absicht des Toten – all das sind Komponenten,
vor denen Menschen in der Regel noch hilf- und fassungsloser stehen als bei anderen tragischen Fällen,
von denen die Einsatzkräfte in ihrer Laufbahn viele sehen.

Pfarrer:innen stellt der Umgang mit dieser Art von Tod und die damit verbundenen Begegnungen mit den Menschen im Umfeld des Toten vor große seelsorgliche Herausforderungen.

Sven Kießling hat den Blick auf beide Seiten eines Todesfalls. Nun nutzte er eine dreimonatige Studienzeit, um nicht nur sein eigenes Wissen und Verständnis zu vertiefen, sondern auch eine Handreichung zu erarbeiten, mit der der eher seltenen Herausforderung eines Suizides in einer Gemeinde begegnet werden kann. „Bei solchen Todesfällen ist keine Routine vorhanden, die Rahmenbedingungen und Emotionen sind komplexer als bei anderen Sterbefällen. Deshalb kann auch die Frage nach den Bedürfnissen der Betroffenen und einer guten Begleitung oft nicht sicher beantwortet werden“, skizziert der Pfarrer seinen Ausgangspunkt.

Er nutzte seine Studienzeit, um mit Menschen zu sprechen, die in ihrer Familie, im Freundes- oder
Bekanntenkreis einen Suizid erlebten. Zweiundzwanzig Menschen zu achtzehn Fällen konnte er befragen – zufällig und nicht repräsentativ; ein breites Spektrum, sowohl was die Ereignisse als auch die Altersspanne der Toten betrifft.

Vom 20- bis zum 90-Jährigen waren Menschen dabei, die sich das Leben nahmen, die vermisst oder schnell gefunden wurden, die mit oder Abschiedsbrief gingen, spektakulär oder leise, nachvollziehbar oder nicht. Drei essentielle Zeitabschnitte beleuchtete Kießling in seinen Fragen an die Angehörigen, Nachbarn oder Betreuer:

  1. Zeitraum Tod / Auffi nden des Verstorbenen
    Wie erfuhren die Menschen davon, wer fand den Toten, wie wurde die Nachricht überbracht.
    Dabei ging es auch um die Gefühlswelt der Angehörigen und darum, wie ihr Umfeld ihnen begegnete.
  2. Zeitraum rund um die Beerdigung
    Was war hilfreich, was nicht? Was hätten die Angehörigen sich gewünscht?
    Wie sollte sich die Kirche in der Öffentlichkeit zu dem Thema Suizid verhalten?
  3. Von der Beerdigung bis in die Gegenwart
    Wie änderten sich die Gefühle zu den Ereignissen? Welche Kontakte oder Begleitung
    gab es nach der Beerdigung? Kam der Pfarrer oder die Pfarrerin erneut?
    Wie verhielt und verhält sich das soziale Umfeld?
    Was hat geholfen und was nicht?



Traudi Schlitt
Öffentlichkeitsarbeit
Dekanat Vogelsberg
Lauterbach