
Finanzielle Nöte
Es ist kein Geheimnis: Um die Kirchen steht es nicht gut. Was in den Kommentarspalten des Feuilletons schon längst als überfälliges Ende bejubelt wird, sorgt für einen massiven Handlungsdruck für Deutschlands größten Arbeitgeber nach dem Staat. Eine Hoffnung auf Wachstum, wie sie die Kirche der Freiheit einst versprach, verfängt nicht mehr. Das Gebot der Stunde lautet, die Institution auf möglichst sozialverträgliche Weise so umzugestalten, dass sie zumindest finanziell für die Prognose der halbierten Mitgliedszahlen bis 2060 gewappnet ist. Auch die Überprüfung der Verbeamtung von Pfarrpersonen, die durch die hohe Belastung der Pensionskasse den Haushalt der Landeskirchen beeinträchtigt, ist eine naheliegende Konsequenz.
Medial wurde dies vor kurzem durch die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) kommuniziert, vertreten durch Prälat Burkhard zur Nieden, der als Stellvertreter der Bischöfin Beate Hofmann für das theologische Personal und die Gemeindeentwicklung zuständig ist. Im Folgenden wird auf sein Interview in der FAZ eingegangen. Die Frage, ob das gewählte Format geeignet ist, um kircheninterne Entwicklungsstrategien bekanntzugeben, kann hier nicht abschließend behandelt werden. Es sei dennoch darauf hingewiesen.
Das regelt der Markt
Nach einem Einstieg zu einem flexiblen Kirchenbild erläuterte zur Nieden, dass es für Berufsanfänger:innen vorteilhafter sei, nicht in die Pensionskassen einzahlen zu müssen. Dies begründete er mit der sinkenden Finanzkraft bis 2060 und der unzureichenden Gegenfinanzierung der Beamtenpensionen. Es wurde das Vertrauen in die staatlichen Rentenkassen betont, jedoch ist es auch nachvollziehbar, dass sich Vikar:innen und Pfarrpersonen in den ersten Amtsjahren die Frage stellen, ob ihre Wahl des Berufswegs langfristig sinnvoll ist.
Die Kirche hat offenbar erkannt, dass das Rennen um Quantität bereits verloren ist. Es bleibt die Frage, wie sie reagieren will, da Hauptamtliche, die über Jahrhunderte die Verkündigung und Verwaltung der Sakramente sichergestellt haben, zunehmend wegbrechen. Wer erwartet, dass neue Bemühungen zur Nachwuchsgewinnung gestartet werden, wird überrascht. Stattdessen sollen die Anforderungen an Bewerber:innen erhöht werden. Lieber eine nicht besetzte als eine falsch besetzte Pfarrstelle, lautet der Ansatz.
Gesteigerte Ansprüche
Der Fokus liegt nun auf Qualität statt Quantität. Die Idee transprofessioneller Teams und der Einbindung von Personen mit anderen biographischen Zugängen als einem Theologiestudium wird als alternative Lösung präsentiert. Eine solche Demokratisierung der Verkündigungstätigkeit ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Es bleibt jedoch offen, wie dies mit der Forderung nach höheren Qualitätsstandards vereinbar ist.
Die verschiedenen Zugänge über Masterstudiengänge, Lektor:innenausbildungen oder Prädikant:innenprogramme könnten eine Bereicherung darstellen. Allerdings wird der theologische Ausbildungsstand aufgrund der kürzeren Ausbildungsdauer in der Regel nicht dem eines vollständigen Theologiestudiums entsprechen. Dies könnte durch andere Kompetenzen kompensiert werden. Dennoch wäre eine genauere Erläuterung der neuen Anforderungen wünschenswert gewesen.
Das Ende des Package Deals?
Die bisherige implizite Abmachung zwischen Landes- und Pfarrkirchen, die Einschränkungen des Berufs durch berufliche und finanzielle Sicherheit auszugleichen, scheint in Frage gestellt. Das Interview deutet darauf hin, dass dieser sogenannte Package Deal einseitig aufgekündigt werden könnte. Die finanzielle Notlage macht diesen Schritt zwar plausibel, es fehlt jedoch an einer Diskussion darüber, wie dies sozialverträglich gestaltet werden könnte.
Fragen nach klarer Zeiterfassung, einer 40-Stunden-Woche oder einem Streikrecht werden nicht thematisiert. Ebenso bleibt unklar, wie das betonte „Gemeinsame“ und die bekräftigten „Lösungen“ konkret aussehen sollen. Es scheint die Überzeugung der landeskirchlichen Leitung vorzuherrschen, dass es möglich sei, höhere Ansprüche zu stellen, weniger finanzielle Mittel bereitzustellen und dennoch dieselbe Arbeitsleistung zu erwarten.
Nachtrag
Der Text wurde vor der Herbstsynode der EKKW 2024 verfasst. Einige der hier genannten Punkte wurden in einem Rede-Beitrag von Burkhard zur Nieden angesprochen, doch grundlegende Fragen bleiben offen. Warum wurde ein Leitmedium wie die FAZ genutzt, statt innerkirchlicher Publikationswege? Was genau steht hinter den gesteigerten Qualitätsansprüchen? Und warum werden die Angebote des Package Deals so konsequent infrage gestellt, während zugleich nur vage Wünsche nach einer gesundheitsfördernden Neugestaltung formuliert werden?