Auf der Suche nach Fairness

Eine junge Filmemacherin auf der Reise durch Indien

„Wie definiert man das perfekte T-Shirt? Ein Produkt, das trotz moderner Technologien noch immer maßgeblich auf Handarbeit basiert. Die wahre Herausforderung liegt nicht allein in der Qualität des Endprodukts, sondern in der faszinierenden Reise, die es durchläuft. Über drei Monate hinweg habe ich mich dem Leitspruch „immer der Baumwolle nach“ verschrieben und meine Kamera auf eine Reise durch Indien mitgenommen. Jeder einzelne Schritt wurde dokumentiert – von den idyllischen Baumwolldörfern im Osten des Landes über die hochmodernen Fabriken im Süden bis hin zur finalen Destination in Konstanz, Deutschland. Eine Dokumentation, die einen Einblick in jede Etappe der Produktion eines Fairtrade-Bio-Shirts gibt und dabei die zentrale Frage stellt: Was bedeutet Fairness für die unterschiedlichen Akteure entlang dieser komplexen Lieferkette? Gleichzeitig beschäftigte ich mich als Europäerin mit der Frage, was Fairness für mich selbst bedeutet, wenn ich von außen in diese Welt eintauche.

Ich bin Theresa, 22 Jahre alt und Filmemacherin aus Rüsselsheim am Main. Im Rahmen des ASA-Programms konnte ich mir einen großen Traum erfüllen: Reisen, zugleich meiner Leidenschaft, dem Filmemachen, nachgehen und damit noch etwas „Gutes“ für die Allgemeinheit tun. ASA, ein Stipendienprogramm von Engagement Global und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, entsendet jedes Jahr junge Student:innen und Absolvent:innen in Länder des globalen Südens um dort Projekte aller Art zu realisieren. Die Idee zur Dokumentation stammt von dem T-Shirt-Hersteller 3FREUNDE aus Konstanz. Die Firma produziert seit 2003 Bio-Fairtrade-Shirts in Zusammenarbeit mit der selbst gegründeten Näherei „Mila Fair Clothings“ in Indien. Geschäftsführer Stefan Niethammer machte es meiner Projektpartnerin Julia Rhein und mir zur Aufgabe, alle Stationen der T-Shirt-Produktion zu besuchen und filmisch zu dokumentieren. Von September bis Dezember 2023 besuchten wir somit von den Baumwollfarmern bis hin zur Näherei alle Lieferanten, die es braucht, bis schließlich das fertige T-Shirt zu uns nach Deutschland verschifft werden kann. Im April 2023 habe ich meinen Bachelor-Abschluss im Studiengang „Media: Conception & Production“ an der Hochschule RheinMain gemacht. Ich wusste früh, dass ich nach dem Abschluss nicht direkt in das Berufsleben starten wollte. Diese Entscheidung treffen zu können ist ein Privileg. Dank meiner Eltern und dem Fakt, dass ich in Deutschland groß werden konnte, stehen mir alle Türen offen. Im Laufe meines Studiums habe ich mich entschieden, Kamerafrau zu werden. Ich will meine Privilegien positiv nutzen. Filme machen ist meine Chance, mehr Sichtbarkeit für – aus meiner Sicht – relevante Themen wie Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Filmprojekt Bevor Julia und ich nach Indien aufbrachen, haben wir zwei Monate lang unseren Aufenthalt geplant. Jedenfalls so gut geplant, wie man eben eine Reise nach Indien, bei der man noch nicht genau weiß, auf was und wen man trifft, planen kann. Dank Stefan Niethammers‘ zahlreichen Kontakten standen unsere ersten Stationen recht schnell fest. Die größere Herausforderung für mich war jedoch, meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich wusste, ich möchte ein hochwertiges Produkt abliefern, habe aber noch nie eine Dokumentation dieses Umfangs gedreht. Gleichzeitig waren wir limitiert in dem, was wir mitnehmen konnten. Ich musste mein Filmequipment auf das Nötigste reduzieren. Parallel dazu haben wir ausgiebig recherchiert und uns in das Thema Lieferketten und Nachhaltigkeit eingearbeitet. Für mich war die nachhaltige Produktion Neuland, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, wenn man Zuschauer:innen für ein Thema begeistern will. Dennoch ist es auch kritisch zu betrachten, dass zwei weiße Europäerinnen, die nicht direkt aus der Textilbranche kommen, nach Indien reisen und vor Ort eine Doku über eben dieses Thema produzieren.

Anfang September machten wir uns auf den Weg zu unserer ersten Station, den Baumwollfarmern in Orissa im Osten des Landes. Zu dieser Zeit war in Orissa noch Regenzeit. Feuchte 35 Grad waren für mich gewöhnungsbedürftig. Wir hatten uns vorgenommen, im September Interviews mit den Farmern zu führen, um dann im November noch die Baumwollernte filmen zu müssen. In den ländlich gelegenen Dörfern der Bio-Farmer, konnte man gut beobachten, wie eng die Menschen mit den Tieren und der Natur zusammenleben und arbeiten. Es war spannend zu sehen, wie klein die ganze Organisation rund um die Fairtrade-Bio-Baumwolle doch immer noch ist. Die Baumwollernte wurde meist im Hausflur gelagert, bevor sie an die größere Sammelstelle gebracht wurde. Wie gering die Menge an Fairtrade-Bio-Produkten immer noch ist, konnten wir auf der ganzen Reise entlang der Lieferkette beobachten. Man sollte doch eigentlich meinen, dass faire Produktion aktuell boomt und viele Menschen diesem Thema Beachtung schenken.

Indien ist mir vor allem als gastfreundliches Land in Erinnerung geblieben. Auf einer unserer ersten Zugreisen sind wir einem indischen Christen begegnet, der die Bibel in die alten Sprachen der indigenen Bevölkerung in Orissa übersetzt, um den Glauben auch dort zugänglich zu machen. Er hat uns sofort zu sich nach Hause eingeladen und uns Kontakte und Tipps für unsere Weiterreise gegeben. Auch als wir in unserer nächsten Station, der Näherei „Mila“ in Tiruppur angekommen waren, zeigte sich eher ein Mangel an Aufträgen; mit ein Grund sind wahrscheinlich immer noch Nachwirkungen der Corona-Krise. Uns wurde klar, dass wir unser Konzept der Doku überarbeiten mussten. Wenn wir ein realistisches Bild nachhaltiger Lieferketten zeigen wollten, konnten wir die aktuelle Lage der Textilbranche in Indien nicht ignorieren. Unser neues Ziel war es, Menschen aus so vielen unterschiedlichen sozialen Schichten wie möglich zu Wort kommen zu lassen. Neben Näher:innen, Farmern und Herstellern haben wir auch ein Interview mit einem Wirtschaftsphilosophen geführt, der uns eine weitere Perspektive aufzeigen konnte. Denn eigentlich befindet sich Indiens Wirtschaft im absoluten Aufschwung. Immer wieder habe ich mit Menschen gesprochen, die leidenschaftlich von Indiens steigender Relevanz auf den globalen Märkten berichteten. Studierende kehren zurück in ihr Heimatland, die Städte wachsen rapide und genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um sein eigenes Business zu starten. Doch dabei bleibt die Textilindustrie auf der Strecke. Längst gibt es andere, billiger produzierende Standorte, die die Branche dominieren. Trotz dieser komplexen Situation hat 3FREUNDE es geschafft, seinen eigenen Weg durch das Hersteller-Wirrwarr zu finden.

Das Thema wurde viel größer als wir je gedacht hätten. Ich war froh, dass wir über einen längeren Zeitraum in Indien waren. Wir hatten so die Möglichkeit, Indiens diverse Landschaften zu erkunden. Von Keralas Backwaters bis hin zur Pilgerstadt Varanassi, fällt es mir schwer einen Favoriten auszumachen. Doch egal wo man sich befindet, überall koexistieren Kulturen und Religionen aller Art. Neben langen Drehtagen hatten wir auch Tage, sogar Wochen, in denen wir nur über unser Konzept und den Sinn dieses Projektes philosophiert haben. Mir wurde klar, dass man als Filmemacher:in eine Machtposition innehat. Man selbst kann entscheiden, wen man wie lange im Film zeigt, welche Statements besonders hervorgehoben werden, und welche man auslässt. Unsere Dokumentation zeigt einen Blick von außen. Wir können beeinflussen, was die Zuschauenden fühlen und mitnehmen sollen. Der Film stellt die zahlreichen Bemühungen dar, die es braucht, um eine transparente Lieferkette in der Textilindustrie aufzubauen. Zu Beginn der Reise hätte ich nie gedacht, dass wir die Erlaubnis bekommen in allen Produktionsstätten zu filmen, und allein dieser Fakt spricht für die Transparenz der Lieferkette von 3FREUNDE.

Meine Hoffnung ist, dass dieser Film nicht nur diejenigen anspricht, die bereits ein Interesse an nachhaltigen Themen haben, sondern auch diejenigen, die sich bisher weniger damit auseinandergesetzt haben. Wir wollen dem Film Reichweite geben, indem wir ihn auf Filmfestivals zeigen. 3Freunde kann ihn nutzen, um ihre Werte potenziellen Kund:innen zu vermitteln. Auch wenn derzeit keine Veröffentlichung auf Plattformen wie YouTube geplant ist, kann man bereits auf der Webseite www.3freunde.de detaillierte Einblicke in die Lieferkette der 3FREUNDE-Shirts erhalten. Für mich hat sich der Film zu einem wahren Herzensprojekt entwickelt. Er ist ein Aufruf zur bewussteren Gestaltung unserer Konsumentscheidungen und zur Wertschätzung der Menschen hinter dem Endprodukt. Der Film hat sich dann gelohnt, wenn ich einen Beitrag dazu leisten konnte, dass das Thema in unserer Gesellschaft mehr Bedeutung erfährt. Ich kann mich nur herzlich bei allen bedanken, die uns bei der Realisierung des Films unterstützt haben.“