In Indien in sozial-ökologische Entwicklung und Empowerment investieren
Sagt Ihnen die Abkürzung EDCS noch etwas? Ecumenical Development Cooperative Society, so lautete der Name der Ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft bei der Gründung durch den Ökumenischen Rat der Kirchen 1975. Angesichts der Auseinandersetzungen um das Engagement von Banken im Apartheidstaat Südafrika ging es darum, alternative ethische Geldanlagen zu ermöglichen. Die durch die Genossenschaft in Ländern des Globalen Südens vergebenen Kredite sollen Menschen mit niedrigem Einkommen und ohne Zugang zu Kapital eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation ermöglichen – gerade Frauen sollen ermächtigt werden, ihre Lebensqualität zu verbessern. „Investieren in Menschen“ lautet das Motto der Organisation mit Sitz im niederländischen Amersfoort, die heute Oikocredit heißt und in 55 Ländern arbeitet. Mitglieder sind Evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer, Kirchengemeinden, Dekanate und viele Einzelpersonen. Insgesamt sind es mehr als 49.000 Investor:innen.
Welthandel Da eine nachhaltige Entwicklung, die armen und ausgeschlossenen Menschen zu Gute kommt, auch Veränderungen im Norden voraussetzt, z.B. in der Handels-, Finanz- und Landwirtschaftspolitik, wurden in den Ländern des Nordens Förderkreise gegründet, durch die zum einen die Anteilseigner ihre Interessen in den Gremien der Genossenschaft vertreten, in denen zum anderen aber vor allem Bildungs- und Advocacy-Arbeit in diesen Themenfeldern geleistet wird. Der hessisch-pfälzische Förderkreis wurde 1979 gegründet und veranstaltet, z.B. zusammen mit mehreren Banken, die sich auf ethisches Investment konzentrieren, jährlich eine „Fair Finance Week“, arbeitet mit den Weltläden zusammen und setzt sich für ein wirksames Lieferkettengesetz ein. Globales Lernen und gesellschaftspolitisches Engagement für sozial-ökologische Transformation gehören zum Selbstverständnis von Oikocredit dazu.
Wie sieht die Arbeit dieser Pionierin für ethisches Investment heute konkret aus? Mit welchen Partnerorganisationen arbeitet Oikocredit zusammen? Welche Erfahrungen machen die Endkund:innen? Wird die angestrebte soziale und nachhaltige Wirkung erreicht? Mit diesen Fragen machte ich mich im Dezember 2023 zusammen mit vierzehn anderen Vertreter:innen der europäischen Förderkreise zu einer Studienreise nach Indien auf, dem Land mit der höchsten Investitionssumme von Oikocredit (2022 ca. 190 Mio. €, von 980 Mio. € insgesamt). Nach Gesprächen im Regionalbüro von Maanaveeya – wie die Tochtergesellschaft von Oikocredit in Indien heißt – in der 12-Millionenstadt Hyderabad, besuchten wir in drei Untergruppen Partnerorganisationen und sprachen jeweils mit dem Management, mit lokalen Beratern und mit Endkund:innen – und zwar in den Bereichen Mikrofinanz, kleine und mittlere Betriebe und erneuerbare Energien.
In Indien erfolgte die große Mehrheit der Investitionen lange im Bereich Mikrokredite für Frauen. Zurzeit macht dies 54% des Portfolios aus. Andere Bereiche sind dazugekommen oder wurden ausgebaut. Mikrokredite sind zurzeit stark in der Diskussion. Von daher kamen wir mit vielen kritischen Fragen. Wir erfuhren, dass die indische Regierung nach einer Krise 2010/2011 diesen Markt stark reguliert hat. So gibt es z.B. ein staatliches Kreditbüro, in dem alle Kredite registriert werden, es gibt Vorgaben für die maximale Höhe der Zinsen, für das Verhalten der Berater u.a. Das Mikrofinanzunternehmen Spandana, das wir kennenlernten, hat eine klare Policy und strikte Verfahren, um Überschuldung von Kund:innen zu verhindern.
Im Dorf Kistagiriwaren wir bei einem „Center Meeting“, bei dem Bäuerinnen aus dem Dorf, die Mikrokredite von Spandana haben, regelmäßig zusammenkommen, um sich untereinander und mit dem regionalen Kreditbeauftragten von Spandana zu beraten, aber auch um Rückzahlungen zu leisten. Fünf bis acht Frauen bilden eine Gruppe, in der sie jeweils füreinander bürgen. Zusammen mit dem Kredit gibt es auch eine Lebensversicherung und Beratung in finanziellen Fragen. Eine Bäuerin erzählte uns, dass sie durch den Kredit Saatgut kaufen und Investitionen in den Hof tätigen kann.
Durch die zunehmende Trockenheit im Zuge des Klimawandels müssten viele Höfe vom Reisanbau auf andere Produkte wie Erdnüsse umstellen. Auch Schulgeld für die Kinder kann die Familie nun zahlen. „Wir leben nicht mehr nur von der Hand in den Mund“, sagte sie. Die Frauen erzählten lebhaft von ihrer Situation, diskutierten untereinander und mit dem Berater, stellten auch Fragen an uns Besucher:innen. „Es ist deutlich zu sehen, wie die Frauen ihr Wissen und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert haben und wie ihr Selbstbewusstsein gestärkt wurde“, sagte uns eine Begleiterin von Maanaveeya. Mikrokredite werden hier ausschließlich an Frauen vergeben; zum einen weil sie gestärkt werden sollen und zum anderen weil die Erfahrung lehrt, dass sie das Geld für die Verbesserung des Familieneinkommens investieren und verlässlich zurückzahlen. Kredite an kleine und mittlere Betriebe, einem zweiten Bereich der Arbeit von Oikocredit in Indien, gehen an Frauen und Männer.
Das Partnerunternehmen „Vreedhi“ unterstützt dabei v.a. kleine Einzelhändler:innen und Handwerksbetriebe in kleinen Städten. „Dieses mittlere Segment von Wirtschaft wird vom Finanzmarkt bisher vernachlässigt, bietet aber große Potentiale der Entwicklung“, sagte uns ein Begleiter. Vreedhi hat dazu ein Modell der Kreditvergabe entwickelt, bei dem die Vorteile von persönlichen Kontakten und schnelle digital gestützte Entscheidungsprozesse verbunden werden. Wir sprachen u.a. mit einem Ehepaar, das einen kleinen Lebensmittelladen betreibt und mit dem Kredit den Wareneinkauf im Großhandel ausweiten kann; und mit einem Eisenwarenhändler, der sein Geschäft vergrößern will. Beide berichteten, dass sie neben den Kreditkonditionen und schnellen Verfahren die gute Beratung durch Vreedhi schätzen. „Diese Organisation versteht, was ich brauche“, sagte der Eisenwarenhändler.
Oikocredit Maanaveeya war der erste Kreditgeber für dieses innovative Unternehmen. Und auch in anderen Bereichen wurde von Partnerorganisationen immer wieder betont, dass Oikocredit neue Ansätze fördere, sich in inhaltlichen Fragen fachkundig mit engagiere und Beratungen und Schulungen anbiete. Dies gilt auch für den Bereich der erneuerbaren Energien. Oikocredit war der erste Kreditgeber für das Unternehmen „Fourth Partner Energy“, das Solaranlagen für Hausdächer plant, baut und betreut, aber auch Windräder. In Indien, wo bisher der Verbrauch fossiler Energien vorherrschend ist, soll der Anteil erneuerbarer Energien ausgebaut werden. Fourth Partner Energy arbeitet im Bereich von Unternehmen. Wir besuchten Supermärkte, auf deren Dächern Solaranlagen installiert wurden. Diese senken sowohl die CO2-Emmissionen als auch die Energiekosten für das Unternehmen, sagte uns ein Marktleiter. Bisher macht dieser Bereich 5% der Investitionen von Oikocredit in Indien aus. Er soll aber stark ausgeweitet werden, gerade auch in Richtung kleine und mittlere Unternehmen. Mein Fazit: Mit Leidenschaft für Gerechtigkeit und sozio-ökonomischem Sachverstand kann Geld so angelegt und investiert werden, dass es zu einem besseren Leben für benachteiligte Menschen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt.