Offenes Wort an die Kirchenleitung
„Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt, ist wie ein kluger Mann: Er baute sein Haus auf felsigem Boden…“ (Mt. 7,24).
Die EKHN ist mitten im Strukturprozess ekhn2030, aber was ist das eigentlich: Ein Umbau der Kirche? Ein Abriss, wie manche meinen? Ein Neubau, wie einige hoffen?
Unser Eindruck ist, dass die meisten einen Umbau der Kirche sehen. Vor Ort erleben wir es anders: Kirche wird neu gebaut.
„Meine Kirche, mein Pfarrer, meine Gemeinde“ – das Prinzip der Parochialgemeinde aus vor allem dem 19. Jahrhundert gilt nicht mehr. Gemeinden finden sich neu zusammen in Nachbarschaftsräumen, in professionsübergreifenden Verkündigungsteams, mit inhaltlichen Konzepten für den ganzen Raum, mit gemeinsamer Gebäude- und Verwaltungsverantwortung. Das ist kein Umbau, das ist ein Neubau der Basisebene mit Nachbarschaftsräumen, Personal- und Anstaltsgemeinden unserer Kirche – und gemäß Kirchenordnung ist diese Ebene konstitutiv für die Gesamtkirche!
Es wird vor Ort nur gehen mit neuen Visionen, neuen (Leit-)Bildern, neuen Konzepten für wirklich alles! Dies ist unabdingbar, wenn verschiedene Traditionen und Frömmigkeitsformen zusammenkommen, unterschiedliche Stile und Arbeitsformen. Ja, manch Gutes und Zukunftweisendes aus der Vergangenheit wird übernommen werden können. Aber es ist und wird zunehmend klar, dass wir vor Ort „Kirche neu bauen“ – von Grund auf. Hoffentlich bauen wir auf Fels; das werden die Nachkommenden beurteilen müssen.
Für die Gesamtkirche der EKHN bedeutet dies, dass das Basisstockwerk der Kirche völlig neu gebaut wird. Wir befinden uns in einer Transformation. Vor Ort wird in größeren Einheiten die „Kirche nah bei den Menschen“ neu erfunden, mitglieder- und zugleich gemeinwesenorientiert. Ja, diese Zielperspektiven helfen beim Finden neuer Visionen für die Kirche vor Ort (mehr als die blumige Rede von „Licht und Luft zum Glauben“). Kirche ist nah bei den Menschen in Gemeinden, in evangelischen Kitas und Familienzentren, im Religionsunterricht, in der (Spezial)Seelsorge. Es wird gut sein, vieles davon in den neuen Nachbarschaftsräumen zu integrieren, ganz sicher mehr als in den bisherigen Parochien. Und auch die Handlungsfelder der Kirche wie Verkündigung, Bildung, Seelsorge und Diakonie werden noch viel mehr als zuvor im neuen Nachbarschaftsraum in gemeinsamer Verantwortung gelebt werden.
Wenn Kirche so vor Ort ganz neu gebaut wird, dann hat dies Auswirkungen:
Die Nachbarschaftsräume müssen in die Lage versetzt werden, die neuen inhaltlichen und strukturellen Aufgaben leisten zu können; und das auch mit weniger hauptamtlichem Personal in den Verkündigungsteams und zunehmend schwieriger zu motivierenden ehrenamtlich Mitarbeitenden.
- Es wird nicht gehen ohne eine hauptamtliche Geschäftsführung mit voller Stelle in jedem Nachbarschaftsraum, um die Vorstände und Vorsitzenden sowie die Hauptamtlichen in den Verkündigungsteams zu entlasten. Sie müssen durch Stellenverlagerung aus dem Bereich der Regionalverwaltungen generiert werden.
- Es wird nicht gehen ohne die substanzielle (!) Vereinfachung aller innerkirchlichen Abläufe: Genehmigungen, Finanzflüsse, Beteiligungsformen… Wir sind nicht mehr Volkskirche und staatsanaloge Behörde! Wir brauchen viel mehr Pragmatismus im Verwaltungshandeln, damit Transparenz und damit (Finanz)Verantwortung vor Ort überhaupt wieder gewährleistet werden. „Kirche“ muss viel einfacher gehen; und das tut sie in fast allen Bereichen der Welt auch, es ist an uns davon zu lernen.
- Und schließlich müssen die offenen rechtlichen Fragen schnellstmöglich geklärt werden, weil vor Ort das Neue bereits entsteht: Wie ist das mit den Pfarrpersonen und anderen Berufsgruppen in den Leitungsgremien? Was wird aus der bisherigen Inhaberschaft von Pfarrstellen? Wie wird angesichts von Pfarrhausabgaben die Präsenzpflicht gewährleistet? Wie werden die ev. Kitas neu aufgestellt und die dafür notwendigen Verhandlungen gebündelt?…
In den Stockwerken über dem Nachbarschaftsraum-Basisstockwerk kann es nicht bei ein wenig Neuanstrich oder dem Schließen eines Zimmers bleiben. Wenn Kirche an der Basis neu gebaut wird, dann muss alles darüber ebenfalls wirklich neu gebaut werden. Die neue Basisstruktur bedingt die notwendigen Strukturen der zweiten und dritten Ebene.
Deswegen:
- Wenn wir statt über 1.000 Kirchengemeinden rund 160 Nachbarschaftsräume haben, dann muss das Veränderungen in den Dekanaten mit sich bringen. Weniger als zuvor sind sie für die inhaltliche Gestaltung kirchlicher Arbeit erforderlich. Mehr denn je sind sie wichtig als innerkirchliche Organisationsebene und Anstellungsträger, nicht zuletzt für viele evangelische Kitas. Zusammen mit den – wegen veränderter Abläufe deutlich schlankeren – Regionalverwaltungen bilden die Dekanate das neue (!) zweite Stockwerk. Dabei erscheint uns die Anzahl von Dekanaten und Regionalverwaltungen zweitrangig, solange sie einheitlich und so schlank wie nur möglich arbeiten und vor allem den neuen und von allen gewollten Nachbarschaftsräumen zuarbeiten. Denkbar wären beispielsweise Geschäftsführende Personen, die vor Ort die Beratung der Kirchenvorstände übernehmen sowie ihre Expertise bei Finanzen und Baufragen lokal und rechtskonform einbringen.
- Und ebenso muss das dritte Stockwerk des neuen Kirchenhauses neu und schlank gebaut werden: Die Gesamtkirche mit dem, was zur Unterstützung guter Arbeit vor Ort unerlässlich ist und was nicht in ein EKD-Dachgeschoss ausgelagert werden kann, bzw. eine spezifische Kompetenz die gesamtkirchlich genuin für die EKHN vorgehalten werden muss.
- Das EKD-Dachgeschoss gilt es so auszubauen, dass die Basisunterstützung mit Materialien und digitalen Angeboten und Fortbildungen zentral für alle organisiert wird. So ist auch hier die Struktur zu verschlanken: Was braucht jede Landeskirche für sich, bzw. könnte auch eine Zusammenarbeit unabhängig von der EKD durch ein Miteinander verschiedener Landeskirchen möglich sein? Und vor allem: Warum ist der Weg zu Kirchenfusionen bislang nur im Norden und Osten Deutschlands möglich? Ja, es müssten Traditions- und Kulturunterschiede überwunden werden, das gilt jedoch in den Nachbarschaftsräumen auch! Aber es ist uns bewusst, dass die EKHN hier nur Impulsgeber sein kann. Bisher denken wir dies in Richtung EKKW, genauso könnte man jedoch auch mit der EKiR, Pfalz oder auch EKiB ins Gespräch kommen.
- Eine zusätzliche Ebene ist nicht vertikal, sondern als Querschnittsthema durch alle Überlegungen und Umsetzungen hindurch zu denken. Digitale Angebote und Prozesse sind auf allen Ebenen notwendig und möglich. Hierzu muss ein Stabsbereich neu gegründet und aufgestellt werden. Die Kernfrage ist bei diesen Überlegungen nicht, was machbar ist, sondern was nötig, sinnvoll und zukunftsweisend ist. Man wird bei Strukturen sparen müssen und muss zugleich neue Strukturen ermöglichen, ohne Einsparziele aus dem Blick zu verlieren.
„Auf Fels bauen“: Dies gilt für die neuen Nachbarschaftsräume mit neuen Visionen und Leitbildern. Es gibt keine Alternative dazu, dass diese vor Ort entwickelt und Schritt für Schritt gelebt werden. Dabei ist völlig klar, dass nicht nur gemäß der beschlossenen Gesetze Personal und Gebäude in großem Umfang eingespart werden, sondern dass bei Personal und Zuweisungen der Einsparumfang kontinuierlich anhand der schneller zurückgehenden Kirchenmitgliedschaft ansteigt. Dies zusätzliche Sparen geschieht im Basisstockwerk automatisch!
Es muss aber für die Stockwerke zwei und drei ebenso gelten. Und eben weil das so ist, braucht es nicht nur die Rede von einer „Kirche mit leichtem Gepäck“, sondern dessen Umsetzung beim Neubau des Hauses, damit es nicht in zehn oder zwanzig Jahren zu heute vermeidbaren Statikproblemen kommt.
Der Prozess ekhn2030 soll bis in sieben Jahren die EKHN für den Zeitraum bis 2060 gut aufstellen (siehe „Freiburger Studie“ über die – inzwischen schon überholte – Prognose der Mitgliedschaftszahlen). Es ist für uns keine Frage, dass auch in den EKHN-Stockwerken zwei und drei mutig und radikal neu gebaut werden muss wie im Basisstockwerk.
In diesem Sinne erwarten wir von der von uns gewählten und beauftragten Kirchenleitung zügig ein umfassendes inhaltliches und finanzielles Gesamtkonzept für die Konstruktion der EKHN-Stockwerke zwei und drei und diverse Konkretionen für das Basisstockwerk, in dem bereits intensiv am Neubau gearbeitet wird. Dafür kann es nötig sein, ein Moratorium von zwölf Monaten für den bisherigen Prozess 2030 auszurufen, damit danach zügiger und tiefgreifender neue Strukturen in der Synodaldebatte Raum finden.