Schluss – und doch nicht!

Aus der Leitung an die Basis

„Ich höre auf als Propst“. Diese Mitteilung im März 2022 hat Irritationen ausgelöst. Gibt es gesundheitliche Gründe? Ist es Amtsmüdigkeit? So kamen die besorgten Fragen, zumal ich erst wenige Monate zuvor mit gutem Ergebnis durch die Synode wiedergewählt worden war.

Ich versuchte zu beruhigen. Nein, mir geht es gut, es ist auch kein Amtsfrust. Im Gegenteil, es war eine dichte, intensive und sehr erfüllende zwölfjährige Amtszeit, auf die ich zurückblicke. Die Irritation über diesen unkonventionellen Schritt blieb allerdings. Denn auch wenn die Leitungsämter in unserer Kirche Wahlämter sind, also Auftrag auf Zeit, ist die Entscheidung, aus dem Propstamt nicht in ein anderes Leitungsamt oder in den Ruhestand zu gehen, ungewöhnlich. Warum eigentlich? Mir war es wichtig, als Pfarrer im Propstamt zu sein.

Und der bleibe ich, wenn auch im neuen Kontext. Corona war für mich eine Zeit des Nachdenkens, wie ich in den kommenden Jahren Leben und Dienst gestalten will. Sechs Monate hatte ich mir Zeit genommen, diese Entscheidung zu überdenken. Gespräche mit Familie, Freunden, Propstkollegen, dem Kirchenpräsidenten festigten den Entschluss. Fast zehn Jahre aktiven Dienst habe ich noch vor mir. Eine gute Zeit für ein neues Arbeitsfeld. Und ich habe Lust mit einem neuen Amt hinauszugehen an die Hecken und Zäune. Ich bin nun im Dekanat Nassauer Land unterwegs in einem Nachbarschaftsraum, einer Dekanatssynode und einem Kirchenvorstand.

Natürlich musste dieser Schritt gut vorbereitet sein. Begleitet von einem Coach war es ein gelungener Übergang. Mit ihm konnte ich besprechen, wie ein Abschied gut kommuniziert und gestaltet werden kann, damit weder das Amt noch ich selbst beschädigt werden.

Meine neue Dekanin, der Dekanatskonvent und die Mitarbeitenden haben es mir dann leicht gemacht, gut anzukommen.

Gab es Zweifel? Momente der Unsicherheit? Ja, genauso wie auch zu Beginn der Propstzeit. Aber je häufiger und klarer ich die Entscheidung kommunizierte, umso mehr festigte sie sich. Manche äußerten ihre Enttäuschung. Oder konnten die Überlegungen nicht nachvollziehen. Aber bis heute gibt es immer wieder Menschen, die mir sagen: „Ich habe Respekt vor diesem Schritt.“

Wer war ich? Wer werde ich sein? Mit dem Wechsel aus einem Propstamt gab ich damit verbundene Bedeutung ab. Es war ein Verlust an bisherigen Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten. Und es gab viele Bereiche, die ich sehr gerne mitgestaltet habe (wie es auch die „nicht-vergnügungssteuerpflichtigen“ gab). Doch der Abschied nötigte und ermöglichte, das Leben neu zu definieren.

Treffend fand ich dazu die Anmerkungen des Theologen und Psychotherapeuten Bernd Deininger (in: Machtverlust schmerzt. Die Zeit. 41/2021):

Denen, die Macht zugesprochen bekommen, rate ich zur Demut. Es hilft, sich gelegentlich daran zu erinnern, mir wurde etwas geschenkt, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort – statt den Erfolg nur auf die eigene Leistung zu beziehen.

Denen, die Macht verlieren, wünsche ich, dass sie die gelebte Zeit der Macht rückblickend genießen, statt ihr nachzutrauern. So gewinnen sie Abstand und können neue Quellen des Glücks erschließen, die ihnen vorher unzugänglich waren: Freundschaften, Hobbys und alles, was man schon längst machen wollte.

Mit dem Loslassen gewann ich neue Lebensoptionen und konnte manches in den letzten Jahren ungelebte Leben wiederentdecken und erwecken.

In Heiterkeit Fragment sein: Ich musste akzeptieren, dass manches unvollendet bleiben wird. Gerne wäre ich mit dem Gefühl gegangen, dass ich – zumindest teilweise – „fertig“ geworden bin. Aber das Gewebe meiner Arbeit war und ist nicht fertig. Unsere Liturgie zur Entpflichtung eines Pfarrers, einer Pfarrerin aus einem Amt ist da ausgesprochen barmherzig.

Lass ihn/sie sich freuen an allem, was gelungen ist. In Gedanken an Fehler und Versäumtes hilf ihm/ihr, barmherzig mit sich selbst zu sein. Vergib uns, was wir ihm/ihr gegenüber versäumt haben.“

Wie klug! Wie barmherzig! Das Unvollendete verliert in der Stunde des Übergangs seine Macht.

Fulbert Steffensky (in: Die Kunst des Abdankens. Hamburger Abendblatt vom 3.3.2007) beschreibt die Kraft des Fragmentarischen im Moment des Abschieds als Absage an die Allmachtsphantasien. Er bezieht dies auf das Alter, aber die Einsichten gelten auch für die pastorale Arbeit.

Am Ende steht der Name Gottes, am Ende unserer Arbeit (…). Wir sind nicht genug, die Welt zu retten (…). Die Last der Welt liegt nicht allein auf unseren Schultern. Wir können in Heiterkeit Fragment sein. (…) Der Gedanke, dass wir an Gott genesen und dass niemand an unserem Wesen genesen muss, macht uns erträglich für uns selber und (…) für die anderen. Wir können die Arbeit aus den Händen legen, nachdem wir unseren Teil getan haben, gut oder schlecht – wir müssen darüber nicht urteilen. Vielleicht ist das die letzte große Kunst, die wir zu lernen haben, dass wir das Urteil über uns selbst nicht fällen. Wir sind, die wir sind (…). Mehr brauchen wir nicht.

Dieser Gedanke gibt mir die Gelassenheit, die mich an meinem neuen Ort stärkt. Und die ich meiner Nachfolgerin in der Propstei Oberhessen wünsche.