Starke Knoten im Netzwerk Kirche

Morgens, kurz vor elf im Supermarkt: Die Kollegin kommt von einem Treffen im Nachbarschaftsraum. Das neue Konfi-Konzept steht! An der Konzeption war sie beteiligt, aber die Durchführung liegt in diesem Jahr zum ersten Mal komplett in der Hand des gemeindepädagogischen Teams. Jetzt noch schnell etwas fürs Mittagessen eingekauft. Am Gemüseregal wird sie von einem Mann angesprochen, den sie vage kennt.


Er verwickelt sie in eine Diskussion über das Ergebnis der Landtagswahlen: „Was sagen Sie als Vertreterin der Kirche eigentlich dazu?“ Der Einkauf dauert länger als gedacht. Zuhause angekommen klingelt das Telefon: Eine Bewohnerin des Stadtteils will wissen, ob ihre internationale, freikirchliche Gemeinde im Gemeindezentrum ihr Jahrestreffen abhalten kann. Nach Recherche und kurzer Absprache mit der KV-Vorsitzenden bereitet sie einen Kirchenvorstandsbeschluss vor. Der Vorsitzende des Bauausschusses schreibt per WhatsApp: Es tue ihm leid, aber er könne nicht zum Ortstermin mit dem Architekten zur Kirche kommen – ein wichtiger beruflicher Termin. Ob sie das als Teil des Ausschusses auch übernehmen könne? Ja, natürlich! Ein Termin mit dem Architekten ist ja schwer zu bekommen.

Ein Vormittag, wie er vielleicht nicht jeden Tag vorkommt, aber er liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Und eine Szene, die uns beschäftigen kann, wenn wir über die Rolle von Pfarrerinnen im Geflecht aus interprofessioneller Haupt- und Ehrenamtlichkeit nachdenken. Ich will dazu ein paar kurze kirchentheoretische und pastoraltheologische „Happen“ einspielen. Vielleicht dienen sie zur Einordnung der Debatten um kirchliche Dienste und Ämter. Das Ganze mündet in den Vorschlag, dem Pfarrdienst eine im weiten Sinne kybernetische Funktion zuzuordnen.

  1. Die Reformation setzt sich in unterschiedlicher Art und Weise von der substanzontologischen Vorstellung katholischer Weiheämter ab. Das Allgemeine Priestertum lebt von der Vorstellung, dass es keine priesterliche Vermittlung zwischen Gott und den Menschen braucht. Jede Person soll und darf in ihrem Stand Christus bezeugen. Gleichzeitig ist aber „um der Ordnung willen“ ein ordiniertes Amt nötig. Es soll durch Ausbildung und entsprechende berufliche Ausstattung die Kohärenz zur biblischen und historischen Tradition herstellen. Ämterfragen sind im evangelischen Verständnis ‚adiaphora‘, theologische Mitteldinge. Sie sind weder heilsnotwendig noch kirchentrennend. Sie können funktional von ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten her gedacht werden.

  2. Im 19. und 20. Jahrhundert entstehen kirchliche und diakonische Erwerbsberufe. Man muss Ihre Entstehung vor dem Hintergrund unterschiedlicher Reformbewegungen sehen. Unter anderem entwickelt sich im Zuge der Gemeindebewegung, Anfang des 20. Jahrhunderts, der Beruf der Gemeindehelferin. Die „überschaubare“ und „lebendige“ Gemeinde und die neu entstehenden Gemeindehäuser sollten organisiert werden. Die Gemeindehelferin, mit ihrer oft guten biblisch-theologischen Ausbildung, leitet Gruppen und Kreise in der Jugendarbeit und organisiert das neu entstehende Gemeindebüro. Sie ist – so wird es in späteren Veröffentlichungen kolportiert – der „verlängerte Arm des Pfarrers“. Das Berufsbild Gemeindehelferin ist klar untergeordnet und mit einem diffusen Berufsprofil ausgestattet. Hier sehe ich persönlich eine der Kränkungen, die bis heute bei pädagogischen Berufen im kirchlichen Bereich nachwirken.

  3. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war das Motto: „eine Kirche für Andere braucht andere Mitarbeiter“. Die Kirchen bauten in den Reformprozessen die gesellschaftliche Differenzierung nach. Kirchliches Handeln sollte in vielen gesellschaftlichen Funktionsbereichen präsent sein (Unternehmen, Gefängnisse, Krankenhäuser, bestimmte Quartiere, etc.). Dafür wollte man spezialisierte Berufe stärken: Pädagoginnen, Gemeinwesenarbeiterinnen oder Psychologinnen. Parallel liefen die Gründungen von Fachhochschulen, auch im evangelischen Bereich. Viele Ideen von damals kommen uns bekannt vor. Sie konnten sich aber mittelfristig nicht verfestigen, zumal die Reformen in eine Phase finanzieller und personeller Prosperität fielen.

  4. Heute haben wir im kirchlichen Bereich viele Berufe mit unterschiedlichen Ausbildungsvoraussetzungen und Anstellungsverhältnissen. Aber auch mit vielen eigenen Logiken. Die EKHN beschäftigt Juristinnen, Architekten, Küsterinnen und Verwaltungsfachwirte. Alle schauen mit unterschiedlichen „Rationalitäten“ auf kirchliches Handeln. Und das ist gut so!

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